Lateinamerikanische Kunstausstellung: "Kubas Kunstszene ist zentralisiert"

"Revolution des Alltäglichen" heißt eine Ausstellung lateinamerikanischer Künstler im Schloss Morsbroich in Leverkusen. Die taz sprach mit den drei kubanischen Teilnehmern über ihr Leben zwischen den Welten.

Nicht nur Che Guevara: Die Kunstszene in Kuba ist äußerst vielfältig. Bild: ap

Über eine Ausfallstraße an einem monotonen Außenbezirk Leverkusens vorbei gelangt man unvermittelt zum Schloss Morsbroich. In dessen Räumen befindet sich, neben einer Obstplantage idyllisch gelegen, das Museum Morsbroich. Für die aktuelle Ausstellung "Revolution des Alltäglichen. Zeitgenössische lateinamerikanische Kunst" hat die Kuratorin des Museums, Stefanie Kreuzer, Installationen, Skulpturen, Video, Zeichnungen und Collagen von acht zeitgenössischen Künstlern aus Argentinien, Brasilien, Kuba und Mexiko ausgewählt.

Die gemeinsame Basis der präsentierten Arbeiten ist zunächst ihr Umgang mit vorgefundenem Material des Alltags - eine Installation aus Plastiktüten (Gabriel Kuri, "Thank you Clouds", 2004) oder eine Skulptur aus Fett, Seife und Bananenschale (Wilfredo Prieto, "Grasa, jabón, plátano", 2006). Vielfältig sind die Bezüge, die zu (Kunst)Geschichte, Politik und Gesellschaft hergestellt werden. Dabei fallen der ausgeprägte Sinn für Humor und die subtile Ironie auf, die in vielen Arbeiten mitschwingt.

Nun sind die nach Morsbroich eingeladenen Künstlerinnen Alexandre da Cunha, Valeska Soares, Diango Hernández, Glenda León, Wilfredo Prieto, Jorge Macchi, Gabriel Kuri und Martín Soto Climent in der internationalen Kunstszene keine Unbekannten. Sie stellen auf der Biennale von Venedig, in Basel oder Madrid aus und werden von Galerien in Europa und den USA vertreten. Die 30- bis 40-jährigen Künstler leben inzwischen in London, Barcelona und Brüssel oder pendeln regelmäßig zwischen Europa und Lateinamerika. Dieser Generation von Künstlern gelingt es verhältnismäßig leicht, sich inhaltlich und geografisch in unterschiedlichen Zusammenhängen zu bewegen. Die dabei erlebte kulturelle Differenz wird für die künstlerische Arbeit produktiv gemacht. Auch für kubanische Künstler hat sich die Situation grundlegend geändert, seitdem in den Neunzigerjahren die ersten internationalen Kuratoren und Sammler auf der Insel aufgetaucht sind.

Das folgende Gespräch mit den drei kubanischen Künstlern Diango Hernández, Glenda León und Wilfredo Prieto fand anlässlich der Eröffnung der Ausstellung im Museum Morsbroich statt.

taz: Der Titel der Gruppenausstellung, an der Sie teilnehmen, lautet "Revolution des Alltäglichen". Alle drei sind Sie in den Siebzigerjahren in Kuba geboren. Was verbinden Sie mit dem Begriff Revolution?

Diango Hernández: Für meine Freunde oder die Leute aus meiner Generation ist Revolution etwas Ererbtes. Etwas, das dir durch Erzählungen vermittelt wurde, jedoch ohne ein Bewusstsein für die Ereignisse zu entwickeln. Meine Eltern haben die Zeit davor und danach noch erlebt und auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen. Für mich hingegen ist es schlicht Normalität.

Wilfredo Prieto: Ein gutes Beispiel ist das Gesundheitssystem: Die Generation der Eltern ist immer noch dankbar für eine kostenlose Versorgung. Meine Generation hingegen fordert sie einfach ein - schließlich kennen wir es nicht anders.

Das Schloss Morsbroich in Leverkusen ist ein sehr klassischer und gediegener Ausstellungsort. Steht dies nicht im Widerspruch zu den ausgestellten Arbeiten, die ihr Material finden im Alltäglichen, Gewöhnlichen wie Plastiktüten, Einwegbecher, Badetücher, Seife oder alten Möbeln. Oder ist diese Diskrepanz, die der museale Rahmen schafft, besonders geeignet, den Erwartungen an lateinamerikanische Kunst zu begegnen?

Hernández: Ich finde, es gibt den Objekten auch einen romantischen Touch. Zumindest für uns, die wir aus einer anderen Tradition kommen.

Was wäre denn der perfekte Raum für Ihre Arbeiten?

Glenda León: Obwohl viele Künstler anderer Meinung sind, gefallen mir ein minimalistischer weißer Kubus und für Videoprojektionen auch ein dunkler. Besucher werden darin ruhiger und sind aufnahmefähiger. Arbeiten, die sich aufs Minimale beschränken, fordern vom Betrachter viel. Da gefällt mir die Situation, die ein klassisches Museum oder eine Galerie schafft und in der nichts ablenkt.

Prieto: Ideal sind für mich möglichst normale Orte, an denen es kein Publikum gibt, das mich unter Druck setzt. Orte im öffentlichen Raum oder in einem Atelier von Freunden. Andererseits fordert jede künstlerische Arbeit ihren eigenen Platz.

Hernández: Ich hatte bisher wenige Ausstellungen in Lateinamerika, aber vor einigen Monaten war ich im Rahmen einer Kunstmesse in Mexiko. Natürlich war diese Kunstmesse eine Messe, aber ich habe dort auf einmal einen lateinamerikanischen Zusammenhang entdeckt, der mich berührt und beflügelt hat. Selbstverständlich musst du dich als Künstler bewegen oder reisen, um Reibungsflächen zu finden. Und viele lateinamerikanische Künstler tun dies auch.

Prieto: Mit Kuba geht es mir ähnlich, und deswegen versuche ich immer wieder dort auszustellen. Das hat vielleicht mit der Art der Kritik zu tun. Ich selber kann die Meinungen der Leute in Kuba viel besser verstehen und einordnen. Das ist eine interessante Beziehung, die ich woanders so nicht vorfinde.

Hernández: Ich habe absolut kein Heimweh, es geht mir sehr gut dort, wo ich lebe, und trotzdem ist es, wie Wilfredo sagt: In einem Zusammenhang, in dem alle Filter wegfallen, die üblicherweise deine Arbeit übersetzen, gibt es einen viel direkteren Kontakt zu deiner künstlerischen Arbeit und sie wirkt realer. Die wenigen Male, die ich damals in Kuba ausgestellt habe, ist es mir nicht aufgefallen. Seitdem ich aber nicht mehr dort lebe, merke ich, wenn ich in Lateinamerika bin, dass es einen besonderen Wert hat.

León: Diango, es wäre gut, wenn du mal im Centro de Desarrollo in Havanna ausstellen würdest.

Was ist das für ein Ausstellungsort?

León: Das Centro de Desarrollo de las Artes Visuales ist ein ziemlich großes Kulturzentrum, in dem alle mal ausstellen. Es ist der wichtigste Ort für zeitgenössische Kunst in Kuba, der offenste für junge Kunst.

Prieto: … und sehr chaotisch.

"Revolution des Alltäglichen" stellt konzeptionelle Arbeiten von acht Künstlern aus Argentinien, Brasilien, Kuba und Mexiko vor. Zentrales Thema ist der Umgang mit vorgefundenem Material. Der Katalog verweist auf Duchamps "Ready-made" und stellt Bezüge zur Moderne her. Viel auffälliger für den Besucher jedoch sind die prekäre Anmutung der Materialien und die improvisiert wirkenden Arrangements. Ist das etwas originär Lateinamerikanisches?

Hernández: Ja, aber das trifft genauso für Afrika, Europa oder die USA zu.

León: Ich sehe da für mich keine Verbindung, und es gibt in dieser Ausstellung von mir keine Arbeit, auf die das zutreffen würde. Natürlich gibt es diese Geste des Improvisierten - zum Beispiel, ein Stromkabel an einer Kerze zu befestigen ("Objeto de la Revolución Energética"). Aber dahinter steckt eine Menge Überlegung. In Kuba existiert eine ziemlich starke Kultur. Es wird viel gelesen. Als ich an der Medienhochschule in Köln studierte, hat es mich immer gewundert, wie wenig kulturelles Wissen die Leute meines Alters hatten, wie wenig sie angeschaut oder gelesen haben. Also, unsere Unterentwicklung ist nicht mental.

Sehen Sie sich noch als Teil der Kunstszene in Havanna oder eher als ein Satellit davon?

Hernández: Ich habe zwar heute noch Kontakt zu einzelnen Künstlern, aber ich gehörte nie dazu. Die Kunstszene in Kuba hat etwas von einer Innung, es gibt viel Streit und alles ist sehr zentralisiert. Einige Leute, die sich schon seit dem Studium kennen, beeinflussen nicht nur das Geschehen, sie verwalten auch die Kontakte - eine Art Cosa Nostra.

León: Für mich bleibt die lokale Szene in Havanna ein Teil meines täglichen Lebens - eine Gruppe von Leuten, zu denen man gehört.

Wie erklären Sie sich, dass nur zwei oder drei der acht lateinamerikanischen KünstlerInnen dieser Ausstellung weiterhin in ihrem Herkunftsland leben?

Prieto: Ich glaube, dass es eine sehr gute Entscheidung für einen Künstler ist, außerhalb seines Landes zu leben, in Bewegung zu sein. Das Gleiche gilt für einen deutschen Künstler, der beschließt, in die USA oder nach Mexiko zu gehen. Oder vielleicht sogar nach Kuba.

Hernández: Aber im Fall von Kuba gibt es einfach einen Punkt, über den man nicht hinauskommt. Wenn man sich wirklich für Kunst interessiert und wissen will, was woanders passiert, dann muss man ehrlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass die Isolation Kubas etwas Dauerhaftes hat.

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