DER TRAUM
: Erdbeerkuchen

Es klingelt. Meine Mutter. „Überraschung!“

Seit gestern kenne ich eine ganz neue Seite an mir. Seit dem Frühstück, als meine Frau mir mitteilte, dass ich mal wieder im Schlaf vor mich hin geplappert habe. „Was habe ich denn gesagt?“ Sie grinste breit und meinte, gerade als sie von der Toilette zurückgekommen sei, hätte ich angefangen. Sie habe es ganz deutlich gehört – ich hätte gesagt: „Hm, Erdbeerkuchen, lecker.“

Manchmal wundert man sich ganz schön über sich selbst. Und ist erstaunt, was sich nachts im Gehirn so alles abspielt, und wer und was darin ein Zuhause hat. Es scheint eine Art riesige Parallelwelt zu sein, in der allerhand Freunde und Verwandte herumlaufen, vermutlich auch Promis und Leute, denen man am liebsten gar nicht begegnen würde. Schon gar nicht nachts.

Gestern muss ich also im Schlaf bei irgendwem zum Kuchenessen gewesen sein, vielleicht eine Einladung zum Geburtstag. Oder aber vor dem Schaufenster der appetitanregenden Konditorei in der Danziger Straße gestanden haben – meine Frau und ich malen uns die unterschiedlichsten Sachen aus, bis es nachmittags an der Tür klingelt. Meine Mutter. „Überraschung!“

Sie steht in der Tür, streckt mir eine Tupperdose entgegen und sagt: „Hab uns was Feines zum Kaffee mitgebracht!“ Sie nimmt den Deckel ab, und mit einem Schlag wird mir klar, was ich an dieser Stelle zu sagen habe. Aber dafür bin ich viel zu baff – ich kriege es einfach nicht hin.

„Hm, Erdbeerkuchen, lecker!“, springt meine Frau ein, und wenig später sitzen wir auch schon auf dem Balkon und überlegen, ob einem solche Vorkommnisse Angst machen sollten. Vor allem wenn man einen Bruder hat, der seit Kurzem meint, er könne Wasseradern spüren.

„Angst? Ach Quatsch“, meint Mutter und zwinkert meiner Frau zu. „Wenn du das nächste Mal so was träumst, darf Tina mich halt nicht gleich wieder anrufen.“ JOCHEN WEEBER