Gegen kleinkarierte Schweißfußrapper

WER IST ILL TILL? Die mysteriöse Xberg Dhirty6 Cru macht Schweinchen-Schlau-Rap mit Lokalkolorit und Gert-Fröbe-Stimme

Dhirty6Cru beruft sich lieber auf englischen Grime als noch mal HipHop-Klischees durchzudeklinieren

VON ARNO RAFFEINER

Babuschkakopf hat verpennt. Tiger ist angeblich auf Reimfindung im Himalaja und der Rest im Kiez in Sachen Horizontalerweiterung unterwegs. Einzig ein blonder Typ mit Totenkopf-Kapuzenpulli, der sich als Ill Till vorstellt, erscheint zum Interviewtermin der Xberg Dhirty6 Cru.

Standesgemäß in einer Eckkneipe am Schlesischen Tor in Berlin-Kreuzberg, schließlich ist das Revier schon im Projektnamen markiert. Nur einer spricht für eine ganze Crew? „Sechs bis sieben könnten wir sein“, so behauptet Ill Till, sei die Anzahl der Bandmitglieder, um dann allen Ernstes hinterherzuschicken, Rapunzel, DJ Opferrille, Tretbote, der Richter und wie die hinter amateurhaften Photoshop-Stückeleien versteckten HipHop-Avatare sonst noch heißen, wären irgendwo unterwegs verlustig gegangen. Ill Till ist Rapper. Und zwar nicht nur einer, sondern viele. Gerüchteweise benutzt er gleich eine ganze Reihe falscher Identitäten, produziert mal unter dem Decknamen Candy Hank schrägen Polka-Techno, dann wieder als Patric Catani Gabba-Tracks. Ferner soll er auch beim Handpuppen-HipHop-Zirkus der Puppetmastaz seine Finger im Spiel haben. Doch darauf angesprochen streitet er alles ab. Eben weil Ill Till als alter Rap-Adliger seine Maskerade noch ernst nimmt.

Vergesst Sido

Der Schlachtruf auf dem Eröffnungsstück des neuen, zweiten Albums der Xberg Dhirty6 Cru – „Sieh doch! Was aus HipHop geworden ist“ – erinnert stark an den großen Maskenmann des Deutsch-Rap: Sido. Den Istzustand von HipHop, unter anderem repräsentiert von Sido, findet Ill Till aber unerträglich. Daher hat er eine zu großen Teilen virtuelle Truppe zusammengetrommelt, um sonische Liebeserklärungen an Rap aufzunehmen, so wie er ihn eben mag: mit schweinchenschlauem Witz. Gemeinsam mit Gästen wie den Phrust Boyz erzählt er Geschichten aus dem Kiez, bevorzugt in Comicstrip-hafter Überzeichnung.

Der Sound ist frisch, aber die Regeln sind oldschool: Lokalkolorit ist die Währung, mit der Glaubwürdigkeit gekauft wird. In einem Zwischenspiel staucht Ill Till etwa „Der Mussolini“ von DAF zu einem „Tanz mir den Wowi!“ zusammen. Und „No Sleep til Brooklyn“ der Beastie Boys wird von der Cru ausgerechnet in „Quartiersmanege“ zitiert, einem Song über Gentrifizierung. Die Afterhour erscheint dann nur mehr als allerletzter Zufluchtsort vor dem „Boutiquen-Café-Galerie-Verschieber“-Publikum: No sleep til das ganze Wichtigtuer-Blablabla endlich verblubbert ist.

„Die Wichtigkeit“ hieß das Debütalbum der Xberg Dhirty6 Cru. Es ist, genau wie jetzt „Die Reime der Anderen“, beim Kölner Label Sonig erschienen, das eher für die krachige Avantgarde-Elektronik von Mouse On Mars bekannt ist als für seine Street-Credibility. Dhirty6 Cru beruft sich musikalisch lieber auf den New Yorker Superschwafler Sensational, englischen Grime oder „so elektromäßiges Zeug, was ich interessanter finde, weil es futuristisch ist“, und sortiert dazu dann Dialogfetzen von Gert Fröbe aus den Doktor-Mabuse-Filmen in den Sampler. Grime, Gert Fröbe, Gentrifizierung? Irgendwie klingt das alles zu wenig derb, um in der Rap-Republik etwas zu reißen.

Leiden für Rap

Aber Ill Till fragt sich selbst auch, ob diese Spielart von HipHop für eine junge Generation denn überhaupt noch wichtig ist. „Die Reime der Anderen“ sind auf jeden Fall kein Provofutter, mit dem Kids ihre Erziehungsberechtigten triezen können. Stattdessen wird die durchaus jugendfreie „den Spaß ernst nehmen“-Attitüde mitunter als krasse Provokation aufgefasst – von konkurrierenden Rappern nämlich. „Es gibt das Gerücht, dass wir uns über Deutschrap lustig machen. Dabei verbeugen wir uns bloß davor! Von uns aus ist alles Peace-mäßig. Ich sehe mich so ein bisschen wie ein Rap-Heiland, der total viel auf sich nehmen muss. Wenn ich mit dem einen Ohr Leid ertrage, halte ich auch mein anderes Ohr hin. Ich leide für Rap.“

Dass er dafür im Gegenzug vom Rap-Establishment noch nicht mal ignoriert wird, wurmt Ill Till dann doch ein bisschen. Aber einer muss mit dem Dissen ja schließlich anfangen. Also grinst Ill Till breit und wirft seinen fiesesten Fehdehandschuh hin: „Deutschrapper sind kleinkarierte Schweißfüße!“

■ Xberg Dhirty6 Cru, „Die Reime der Anderen“ (Sonig/Rough Trade)