MIT GEORG KREISLER VORGLÜHEN, DANN IN DIE POPO-BAR
: Ablenkung ist angesagt

ausgehen und rumstehen

SONJA VOGEL

Seit Wochen planen wir einen Kulturabend in Neukölln. Da B. nun einen alten Freund zu Gast hat, starten wir einen neuen Versuch, den Freitagabend nicht wie üblich zu Hause oder in der Kneipe zu verbringen. Was soll schließlich der Gast von uns denken? Gegenüber meiner Wohnung befindet sich das Gebäude der Alten Post, in dem seit geraumer Zeit wechselnde Ausstellungen zu sehen sind. Als wir gegen zehn Uhr vor den Rolltreppen im Eingangsbereich stehen, ist die angekündigte Performance bereits vorbei. Wenige Straßen weiter soll im Gelegenheiten, einem ehemaligen Schlachthaus, Donna Stolz auftreten. „Wegen Krankheit verschoben“ steht an der verschlossenen Tür. Wir versuchen es nördlich der Karl-Marx-Straße. In der Frühperle gibt es regelmäßig Livemusik. Hier geht der Musiker mit dem Hut herum: Konzert verpasst. Wir bestellen Bier und bekommen „Bier“. Diese Marke ist zwar hip, schmeckt aber nicht.

Ausnahmsweise gehe ich früh nach Hause. Noch ernüchternder beginnt der nächste Tag. Nach dem Anschlag auf eine rechte Szenekneipe hatten Neonazis nach Berlin mobilisiert, um gegen „Linksextremismus“ zu demonstrieren. Fast tausend von ihnen marschieren, ganz in Schwarz gekleidet, im Polizeikordon über die Landsberger Allee, als wir zu den wenigen Gegendemonstranten stoßen. Bald fliegen Leuchtraketen, und wir schaffen es gerade noch, dem Polizeikessel auszuweichen. Da meine Begleiter keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, fahren wir zurück nach Hause.

Ablenkung ist angesagt. Am Abend startet die „Weserrakete“ , ein Musikfestival in den Kneipen Nordneuköllns, das mittlerweile zum dritten Mal stattfindet. Zum Vorglühen treffen wir uns in meiner Küche, hören Georg Kreisler und trinken billiges Bier. Die Kassette ist zu Ende, und also ist es höchste Zeit aufzubrechen.

Erste Station: Valentin Stüberl. Hier sind die Scheiben angelaufen und man kann kaum atmen, so dicht ist der Zigarettenqualm. Ständig muss man auf der Hut sein, sich nicht an den Zigaretten seiner Nachbarn zu verbrennen, so voll ist es.

Weiter ins Supersonic. Dort legt wieder einmal Steve Morell auf. Weil der Laden schlecht läuft, gibt es jetzt einen Kicker hinter den Toiletten. Selbst heute ist die Tanzfläche recht leer. Das ist schade und wir ziehen weiter in die PoPo-Bar. Die öffnet nur alle paar Monate und ist dann regelmäßig so überfüllt, dass Dutzende auf der Straße bleiben. In dem kleinen Raum wird dicht gedrängt zu Elektromusik getanzt. Die DJs kauern auf einer Empore unter der Decke, ziehen die Köpfe ein und lassen ihre Füße zwischen den Tanzenden baumeln. Von einer Fremden bekomme ich einen Peitschenhieb auf den Po. „Gegenüber habe ich gewohnt und hier war mein Friseur drin!“, ruft K. Kulturschock! Dann fährt er zurück nach Kreuzberg.

Die einen wandern nun ins Silverfuture ab, die anderen ins Ä. Ein Freund ist unrettbar an den Chiliwodka im Kuschlowski verloren. Ich bleibe alleine mit S. zurück, einem flüchtigen Bekannten. Wir unterhalten uns sehr gut. Stunden später stehen wir schweigend auf der Straße. Immer wieder blickt S. durch das Fenster zurück in die Bar, als suche er jemanden. Dann fragt er ungeduldig: „Wo bleibt denn jetzt deine Freundin?“ Ich überlege. Als ich antworte, es gebe nur mich, ist S. fassungslos. Dann verabschiedet er sich.

Auf meinem Heimweg liegt das Stüberl. Nach der langen Nacht wirkt hier alles etwas derangiert: verrückte Biertische, zerschlagenes Glas, Kippen, graue Gesichter. Obwohl der Laden geschlossen hat, darf ich mich zu Wirt und Thekenpersonal setzen. Dass man mich hier mit meinem Namen begrüßt, beruhigt mich. Von meiner Freundin ist keine Rede mehr. Bis halb acht bleibe ich hier sitzen. Vorsichtshalber trinke ich nur Wasser.