Die Agenten des Untergrunds

AUFBEGEHREN HINTER ALTBAUFASSADEN Ein Dokumentarfilm, eine Ausstellung und ein Sammelband schauen auf die DDR-Kunstszene in Prenzlauer Berg zurück

Wirklich aufklären kann Sascha Anderson seine Motive auch heute nicht

VON TIM CASPAR BOEHME

Wenn man sich heutzutage im Prenzlauer Berg bewegt, muss man sich schon sehr anstrengen, um auf Rudimente der jüngeren Vergangenheit des Viertels zu stoßen. Dass hier in Vorwendezeiten noch alternative Künstler, Literaten und Musiker lebten und arbeiteten, ist mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen. Umso erfreulicher, dass dieser Tage der DDR-Geschichte des Bezirks in unterschiedlicher Form gedacht wird. So hatte zwei Tage nach dem 20. Mauerfall-Geburtstag Matthias Aberles Film „Poesie des Untergrunds. Prenzlauer Berg kontrovers 1976–1990“ in der Volksbühne im Prater Premiere. Unter dem gleichen Namen eröffnet in dieser Woche auch eine Ausstellung im Prenzlauer Berg Museum, und der Verbrecher Verlag veröffentlicht dazu den Sammelband „Die Addition der Differenzen. Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlin 1979 bis 1989“.

Sie kamen zu Beginn der Siebziger aus den unterschiedlichsten Ecken der DDR, aus Dresden, Rostock oder Radebeul. Von der Wirklichkeit der DDR enttäuscht waren sie alle – oder zumindest fast alle. Zusammen kamen sie in einem Bezirk, dessen Altbauten aus dem 19. Jahrhundert von der DDR-Regierung als unliebsame Relikte des Kapitalismus betrachtet und deshalb dem Verfall überlassen wurden. Tatsächlich scheint der Prenzlauer Berg damals nur sehr wenig mit dem Rest der DDR zu tun gehabt zu haben. Für die Malerin Cornelia Schleime war der Wechsel von Dresden nach Berlin sogar größer als der Unterschied zwischen dem West- und dem Ostteil der Hauptstadt, wie sie sich im Film „Poesie des Untergrunds“ erinnert.

Mit ihrer Arbeit versuchten die Künstler – im engen Rahmen, der ihnen möglich war – Protest zu artikulieren oder die Wirklichkeit der DDR in einer Weise abzubilden, die nicht der offiziellen Propaganda entsprach. So schrieb der Schriftsteller Sascha Anderson für die Punk-Band Zwitschermaschine Songs mit Titeln wie „Geh über die Grenze“, und der Fotograf Harald Hauswald zeigte in Büchern wie „Berlin-Ost. Die andere Seite einer Stadt“ aus dem Jahr 1987 genau jene Facetten der Hauptstadt der DDR, die in anderen Medien nicht vorkamen.

Wer sich als Musiker dem DDR-Regime verweigern wollte, machte Punk mit sämtlichen Konsequenzen: „Als Punk kam man eher in den Knast als zu einem neuen Hemd“, so Michael Horschig von Planlos, einer der ersten Punk-Bands der DDR. Auch die Brüder Robert und Ronald Lippok, heute vor allem bekannt von Tarwater und To Rococo Rot, begannen als Punkmusiker. Rosa extra nannte sich ihre erste Band, in der auch Tarwater-Kollege Bernd Jestram mitspielte. Mit dem späteren Projekt Ornament und Verbrechen lösten sich die Brüder Lippok vom Bandkonzept und betrieben stattdessen eine offene Plattform für verschiedene Kollaborationen fernab fester Identitäten, um „Verwirrung zu stiften“.

Was den Film „Poesie des Untergrunds“ besonders interessant macht, ist die Entscheidung, nicht nur die Seite der Unangepassten zu zeigen, die Opfer der Stasi wurden, sondern auch Sascha Anderson zu Wort kommen zu lassen, einen ehemaligen IM, der durch seine enge Verflechtung mit dem Untergrund idealer Informant war. Als „jugendlichen Wahn, den Weltkommunismus zu schauen“, bezeichnet er rückblickend seine Arbeit für die Stasi, die ihm wenig Spaß gemacht zu haben scheint. Es ist allen Beteiligten hoch anzurechnen, dass Anderson in diesem Film seine Perspektive darlegt; immerhin schildert die ehemalige Zwitschermaschine-Mitstreiterin Cornelia Schleime in „Poesie des Untergrunds“, wie sie von ihrem Bandkollegen an die Stasi verraten wurde, und Bert Papenfuß, der dem Regisseur Matthias Aberle als Autor und Berater zur Seite stand, wurde selbst von Anderson bespitzelt. Wirklich aufklären kann Anderson seine Motive allerdings nicht, und wenn er sich in vage Ausflüchte zu retten versucht, dass er sich in seiner Doppelrolle selbst nicht ganz verstehe, lässt er offen, ob es tiefe innere Widersprüche oder die Verweigerung der Reflexion sind, die ihn von der nötigen Selbsterkenntnis abhalten.

Mit Verstrickungen ähnlicher Art beschäftigt sich auch der Band „Die Addition der Differenzen“ von Uwe Warnke und Ingeborg Quaas. In dieser Bestandsaufnahme widmen sich Protagonisten der Szene, teils mit wissenschaftlicher Distanz, teils im Stil persönlicher Erinnerungen. Einigen von ihnen, Harald Hauswald oder Elke Erb zum Beispiel, begegnet man ebenfalls im Film „Poesie des Untergrunds“. Auch der Fall Anderson wird abgehandelt. Als Autor tritt er jedoch nicht in Erscheinung.

■ „Poesie des Untergrunds. Prenzlauer Berg kontrovers 1976–1990“. Regie: Matthias Aberle. 87 Min., als DVD bei Absolut Medien erschienen, zurzeit im Berliner Lichtblick-Kino ■ Ausstellung im Prenzlauer Berg Museum vom 21. November bis 7. Februar 2010 ■ Uwe Warnke und Ingeborg Quaas (Hrsg.): „Die Addition der Differenzen. Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlin 1979 bis 1989“ (Verbrecher Verlag)