berliner szenen Zurück aus dem Urlaub

Im Land der Tatsachen

Flughafen Tegel. Irgendwo hinter uns quengelt ein kleines Kind, während wir vom Flugzeug durch den Gang hin zur Passkontrolle schlurfen, erschöpft, aber entspannt und gut gelaunt. Ein Monat Urlaub liegt hinter uns in einem weit entfernten sonnigen Land voller gelassener und freundlicher Menschen. War jut jewesen.

„Unverschämtheit“, tönt es da hinter uns. Wir können nicht gemeint sein. Dann noch mal lauter: „So eine Frechheit.“ Ich drehe mich um. „Die Menschen in Deutschland sind so rücksichtslos!“ Hinter uns zetert eine Frau, hörbar deutsch wie wir, aber offenbar weit rücksichtsvoller: „Lassen Sie doch das Kind vorbei!“ Verblüfft lasse ich selbstverständlich eine Mutter mit Kind passieren. Die Mutter sagt kein Wort. Sie ist nicht identisch mit der Zeternden. Ob sie gutheißt, was hier in ihrem Namen geschieht, kann ich nicht beurteilen. „Entschuldigung“, sage ich, „ich bin seit zwanzig Stunden unterwegs und habe hinten keine Augen im Kopf.“

„Man sieht gleich, dass Sie keine Kinder haben“, bleckt die Frau höhnisch. Den Eindruck, im Bewusstsein zu stehen, im Leben Entscheidendes verpasst zu haben, macht allerdings eher sie. Dies Bewusstsein hat sie frustriert. Die Frustration hat sie gemein gemacht. Ihre Gemeinheit lässt sie deutlich älter aussehen, als sie vermutlich ist. Das wiederum macht sie noch frustrierter – ein Teufelskreis, dessen einziger Ausweg der Tod ist, ihr Tod.

Aber immerhin hat sie ihr Ziel erreicht. Wir sind nicht mehr entspannt und nicht mehr gutgelaunt. Für die nächsten zehn Minuten können wir nachempfinden, wie sich für sie ihr ganzes Leben anfühlen muss. Wir sind angekommen. Am Boden und im Land der Tatsachen. Wir sind wieder daheim. ULI HANNEMANN