Frauen auf ihrem Weg zum Bau

POP Die beiden Berliner Musikerinnen Gudrun Gut und Antye Greie haben die Greie Gut Fraktion gegründet und das programmatische Album „Baustelle“ aufgenommen, das die Musik im Lärm von Betonmischern entdeckt

Das Album bearbeitet fantasievoll die Schnittstelle zwischen Hörspiel und Club

VON THOMAS WINKLER

Wer ein Haus baut, der mag wohl ein paar Geschichten erzählen können. Daraus fertigen Fernsehsender dann mitunter sogar nachmittägliche Unterhaltungssendungen. Den Soundtrack zu diesen Geschichten haben, wenn man so will, nun Gudrun Gut und Antye Greie eingespielt.

Dazu haben die beiden Berliner Musikerinnen die Greie Gut Fraktion gegründet. Und zwar nicht gleich ein Kommuniqué verfasst, aber doch ein ziemlich programmatisches Album aufgenommen. „Baustelle“ heißt es und beruht nahezu ausschließlich auf Geräuschsamples, die die beiden aufgezeichnet haben, als ihre jeweiligen Häuser entstanden.

Greies Domizil, in dem sie mit ihrem Mann, dem DJ und Produzenten Vladislav Delay, und der gemeinsamen Tochter lebt, steht auf einer Insel vor der finnischen Küste. Der Lärm, unter dem die Bäume gefällt wurden, um Platz zu schaffen für das Holzhaus, lieferte die Grundlage für „Cutting Trees“, den Eröffnungstrack des Albums. Beim Interview ist sie per Skype zugeschaltet. Man sieht sie vor einem blendend blauen finnischen Himmel sitzen, ihre Sätze werden von zwitschernden finnischen Vögeln kommentiert.

Der Bildschirm steht im Schöneberger Büro von Gudrun Gut. Von hier aus lenkt sie ihre Plattenfirma Monika Enterprise. Als sie ihren Zweitwohnsitz im Brandenburgischen ausbauen ließ, rotierte die „Mischmaschine“. Deren gleichmäßiges Schaben, das rhythmische Umwälzen des Mörtels in der Trommel gibt nun den Takt vor für das gleichnamige Stück. Und woher das Sounddesign von „Betongießen“ stammt, kann man sich leicht denken.

Diese Field Recordings sind zwar am Computer bearbeitet, verfremdet und zu Rhythmen verarbeitet, bleiben aber doch immer erkennbar. Selbst dann, wenn die Tracks immer wieder hin- und hergeschickt wurden zwischen Finnland und Berlin, weil sich die beiden nur zu wenigen gemeinsamen Aufnahmesessions trafen, von denen eine in einer finnischen Sauna stattfand. Das Ergebnis, ergänzt mit assoziativen Texten in Deutsch und Englisch, bewegt sich voll Fantasie an den Schnittstellen zwischen Hörspiel und Club.

Für Greie ist „Baustelle“ vor allem eins: „Eine Ermutigung. Ich finde, die Platte hat etwas Zupackendes. Die handelt von Aktion, davon, mit Händen etwas zu bewegen. Die sagt: Steh auf, mach weiter.“ Dann erzählt sie, die Vögel lärmen, dass sie das eigene Werk gern beim Autofahren hört und davon gute Laune bekommt.

Sie finde Baumärkte großartig, sagt Gut, vorbehaltlos, ohne Hintergedanken und schon immer. Die Frage nach der feministischen Dimension von „Baustelle“ versetzt sie in eine eher unwillige Stimmung. „Ich habe dazu keine Lust mehr“, sagt sie, „wir machen einfach, wir gehen mit gutem Beispiel voran. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich eine Frau bin. Ich muss mich nur ständig damit auseinandersetzen, warum es für andere nicht selbstverständlich ist. In jedem Interview kommt die Frauenfrage und die Neubauten-Frage.“

Die Neubauten-Frage ist jene nach ihrer Mitgliedschaft bei den Einstürzenden Neubauten. Die nun 50-Jährige spielte zwar nur kurz, aber doch in der Gründungsformation der legendären Lärmwerker. Deshalb trägt die Neubauten-Frage noch weniger zur Stimmungsaufhellung bei als die Frauenfrage, denn: „Ich hab doch nur ein Jahr lang bei den Neubauten gespielt, und das war wirklich nicht die wichtigste Zeit in meinem Leben.“

Tatsächlich: Danach gründete sie Bands wie DIN A Testbild, Mania D und Matador, landete mit Malaria sogar den kleinen Hit „Kaltes, klares Wasser“, wurde DJ und Produzentin, eröffnete mit Thomas Fehlmann, als Ex-Palais-Schaumburg ein anderer Pionier der Neuen Deutschen Welle, den „Ocean Club“, eine Clubveranstaltungsreihe und Radiosendung, und etablierte das hoch geschätzte Label Monika mit Künstlern wie Barbara Morgenstern, Quarks oder Contriva.

Eine ähnlich illustre Karriere hat die neun Jahre jüngere, aber auf der anderen Seite der Mauer aufgewachsene Antye Greie hinter sich. Sie begann, als eine Hälfte des Projekts Laub elektronische Musik mit einer bisweilen verschraubten Poesie zu kombinieren, und führte diesen Ansatz unter dem Kürzel AGF und mit anderen Projekten so konsequent weiter, dass sie zwar hierzulande kaum über den Status eines sehr gut gehüteten Geheimnisses hinauskam, dafür aber schon auf dem Titel des in Großbritannien erscheinenden Avantgarde-Zentralorgans Wire erschien.

Diese Herkunft aus den zwei deutschen Staaten hat Spuren hinterlassen auf „Baustelle“. Gut schlug vor, den Palais-Schaumburg-Klasiker „Wir bauen eine neue Stadt“ zu covern. Greie konterte mit der sich bei der Thematik des Albums ebenfalls aufdrängenden FDJ-Hymne. „Ich fand es wichtig“, sagt sie, „meine kulturelle Identität da einzubringen.“

Die beiden so verschiedenen Klassiker sind nun auf „Baustelle“ verarbeitet. So findet „Bau auf, bau auf, freie deutsche Jugend, bau auf!“, wenn auch stark verfremdet und womöglich unverdient, neben der NdW Eingang in die musikalische Zukunft. Und natürlich finden, wie selbstverständlich, Frauen ihren Weg auf den Bau.

■ Greie Gut Fraktion: „Baustelle“ (Monika Enterprise/Indigo)