Geister unter uns

SICHTBLOCKADEN „Tactics of Invisibility“ im Kunstraum Tanas zeigt junge türkische Künstler

Im Reich des Unsichtbaren tummeln sich die unterschiedlichsten Dinge: Geister und Gespenster gehen umher, aber auch Projektionen und Vorurteile. Und manchmal werden auch ganz reale menschliche Körper den Blicken entzogen. Von all dem handelt die Ausstellung „Tactics of Invisibility“, die die Berliner Galerie Tanas zusammen mit der Stiftung Thyssen-Bornemisza aus Wien und der türkischen Vehbi Koc Foundation organisiert hat.

Kutlug Ataman, Videokünstler und Regisseur etwa, interpretiert das Unsichtbare als etwas Unheimliches und Geisterhaftes. Er projiziert auf von der Decke herabhängende Leinwände sechs Mitglieder einer arabisch-schiitischen Religionsgemeinschaft aus der südöstlichen Türkei in Übergröße. Sie, die an Reinkarnation glauben, erzählen in „Twelve“ über ihr früheres und jetziges Leben. Manche glauben, dass sie in ihre frühere Familie wieder hineingeboren werden. Nur, dass der Bruder von früher der heutige Vater sei, wie einer zu berichten weiß und somit beim Zuhörer für Verwirrung sorgt.

Für den Kurator Emre Baykal, der die 14 Positionen aus der Türkei und der türkischen Diaspora ausgewählt hat, geht es hierbei um mehr als nur um eine für Außenstehende fantastisch klingende Erzählung: „Man sieht, dass diese Personen doppelte Identitäten haben, und man beginnt zu überlegen, dass Identität etwas ist, was wir herstellen und machen.“ Mehr noch: Hier handelt es sich um die religiöse Symbolik einer Identität, die vom positivistischen Kanon der kemalistischen Republik lange Zeit offiziell zum Schweigen gebracht wurde.

Geisterhaft geht es auch mit „Ghost“ von Ayse Erkmen weiter. In einem separaten Raum singt aus neun Lautsprechern, die an der Decke befestigt sind, eine Sopranstimme „Glück, Glück zum neuen Jahr“ in einer Endlosschleife. Das Motiv stammt von Ludwig van Beethoven, der 1806 mehrere Monate im Palais Erdödy-Fürstenberg in Wien gelebt und dort diesen ursprünglich vierstimmigen Kanon komponiert hat. Unter anderen bezieht sich Erkmen hierbei auf das Gerücht, dass in dem Palais der Geist eines jungen Mädchens gehaust haben soll. Das Thema dieser Installation sind Immaterialität und das Nichtfassbare – neben dem Klang gestaltet nur Licht den Raum.

Frauen werden lebendig

Wenn es um (Un-)Sichtbarkeit im östlichen Kontext geht, dann darf eine Abhandlung des Harems nicht fehlen. Inci Eviner tut dies auf raffinierte Weise, indem sie die orientalistisch überzeichneten Figuren eines Kupferstichs von Anton Ignaz Melling (1763–1831) in einer Videoinstallation zu neuem Leben erweckt. Die in Korsetts eingezwängten Frauen des Kupferstichs machen nach einigen Sekunden Platz für lebendige Frauenfiguren, die in lockerer und schlichter Kleidung eigenartige, scheinbar nicht funktionale Handlungen vollziehen. Die im Blick des westlichen Künstlers eingefrorenen Frauen leisten durch die neue, bewegliche und selbstermächtigende Darstellungsweise dem Regime des Orientalismus tendenziell Widerstand. Eine alltägliche und deshalb durch Gewöhnung schon unsichtbar gewordene Begebenheit kann durch die Neuplatzierung in einen anderen Kontext wieder sichtbar gemacht werden.

Das nutzt die in Berlin lebende Künstlerin Esra Ersen in einer Arbeit über das Tragen von Schuluniformen in „I am Turkish, I am Honest, I am Diligent“. Was für Kinder in der Türkei selbstverständlich ist, stellte sich bei einem einwöchigen Experiment für österreichische SchülerInnen anfangs als befremdlich dar. Doch dann identifizieren sich die Kinder mit der neuen Praxis. Ersen dokumentiert dieses Experiment in einem Video und verhandelt damit ein Stück Identitätspolitik. HÜLYA GÜRLER

■ „Tactics of Invisibility“, Tanas Galerie, Heidestr. 50, bis 15. Januar 2011, Di–Sa 11–18 Uhr