Die geheime Ordnung der Tage

FOTOGRAFIE Die Fotokünstlerin Jessica Backhaus zeigt im jüngst eröffneten Schauraum der Robert Morat Galerie einen Überblick über ihr bisheriges Werk aus fragilen Tableaus einer Nature Morte voller Poesie

VON RALF HANSELLE

Von den meisten Tagen bleiben nur Erinnerungsfetzen zurück; Kleinigkeiten und einfache Dinge: ein Muster aus Herbstlaub auf einem Trottoir, ein gelber Einkaufswagen auf regennassem Parkplatz, vier bunte Kleiderbügel, aufgereiht an einer Holzlatte. Die wenigsten Tage sind spektakulär. Und doch wohnt in jedem eine heimliche Schönheit, eine Patina aus stiller Wehmut. Man muss nur richtig hinschauen und selbst die kleinsten Wunder würdigen wollen.

Hinschauen wie die 1970 im niedersächsischen Cuxhaven geborene Fotokünstlerin Jessica Backhaus. Ihre derzeit im Schauraum der Robert Morat Galerie gezeigten Fotoarbeiten sind Spurensammlungen eines wie beiläufig vorbeigezogenen Lebens. Es sind Stillleben, die Erinnerungen an das Vergangene konservieren, das Unscheinbare zelebrieren, poetisch und mit blassen Tönen.

Fragile Tableaus

Schon in den Titeln dieser Serien liegt Melancholie. Mit Büchern wie „One Day in November“, „What still remains“ oder „Die Welt wird schöner mit jedem Tag“ hat sich die heute 40-Jährige zu einer wichtigen Vertreterin deutscher Gegenwartsfotografie emporgearbeitet. Ausgebildet in Paris und New York, wo sie internationalen Größen wie Patrick. Demarchelier oder Michel Comte assistierte, hat Backhaus über die letzten Jahre zu einer lyrischen, sehr persönlichen Bildsprache gefunden. Schon mit ihrer ersten großen Serie „Jesus and the Cherries“, 2005 als Buch erschienen, erfuhr die damalige Debütantin ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit.

„Jesus and the Cherries“ war der gelungene Versuch, Porträtfotografien und Stillleben zu einem dichten Gewebe zusammenzufassen. Die Personen auf diesen Bildern erzählen von den Dingen, die Dinge wiederum legen Zeugnis ab von den Personen. Heute finden sich Menschen meist nur noch am Rande von Backhaus’ Bildern. Stattdessen setzt die Fotografin ganz auf die Kraft der Nature Morte, auf fragile Tableaus, die von einer Welt jenseits der Menschen erzählen. Mit ihnen hält Jessica Backhaus fest, was in der Hektik des Alltags kaum Beachtung findet: einen zerfledderten Regenschirm oder ein weggeworfenes Kopfkissen. Ein Swimmingpool in Hockneyblau, eine Teedose in grazilem Grün.

Viele dieser Aufnahmen sind beiläufig entstanden, sind kaum mehr als fotografische Skizzen. Oftmals zu Triptychen und Dialogen zusammengestellt, geben sie der Welt eine ikonografische Ordnung, reichen der Zeit ein Geländer zur Hand. Nicht von ungefähr sagt die nach langen Intermezzi in Paris und New York heute in Berlin lebende Künstlerin, dass sie Fotografie wie eine innere Notwendigkeit betreibe. Wie eine Vergewisserung des eigenen Selbst. „Meine Stilllifes sind für mich ambivalent. Sie bieten mir die Möglichkeit, mich zurückzuziehen. Und gleichzeitig kann ich mich über die Gegenstände dem Menschen annähern.“ Präsenz in der Absenz – das ist wohl der Kern dieser bezaubernden Pastellpoesie.

Tipps von Gisèle Freund

Gelernt hat Jessica Backhaus diese Weltensicht bei ihrer langjährigen Mentorin Gisèle Freund. Es war an einem Novembertag im Jahr 1992, als die damals 18-jährige Studentin die um 66 Jahre ältere Grande Dame der Nachkriegsfotografie in Paris kennenlernte. Zwischen den beiden entwickelte sich schnell eine Freundschaft, die mehr war als eine gewöhnliche Beziehung zwischen Lehrerin und Schülerin. Wenn man beim Fotografieren nur auf die Technik höre, habe Freund ihr damals nahegebracht, blieben alle Bilder stumpf und leer. Viel wichtiger sei das Herz, gute Fotografie betreibe man aus dem Bauch heraus.

Genau das tut Jessica Backhaus. Ihre leisen Stillleben geben der Einsicht ihrer Mentorin eine gelungene Form. Ihr Gespür für Strukturen und Farben, ihr Spiel mit Lichtbrechungen und Spiegelungen bewahren sie dabei vor der Gefahr, ins Banale abzugleiten. Besonders gut lässt sich das in der aktuellen Serie „I wanted to see the world“ beobachten. Diese zeigt eigentlich nicht mehr als Impressionen von flirrenden Wasseroberflächen. Auf zarten Wogen sieht man hier Spiegelungen von Bäumen, Häusern und Straßenzügen – eine Welt im Wellenschlag driftend. Selbst hier taucht sie immer wieder auf: die zerbrechliche Poesie der Kleinigkeiten. Die zarte Ordnung, die einem Tag geheimen Sinn verleiht.

■ Jessica Backhaus: Werkschau. Noch bis 21. Mai. Robert Morat Galerie, Kleine Hamburger Straße 2