Es begann am Donnerstag mit der königlichen Hochzeit
: Nicht einfach, das aktive Ignorieren

von Christiane Rösinger

Ausgehen und Rumstehen

Das letzte Wochenende war ein schwieriges. Man hatte sich vorgenommen, so vieles zu ignorieren, und musste dann doch erkennen, dass es nicht einfach ist, das aktive Ignorieren. Es begann am Donnerstag mit der königlichen Hochzeit. „Who cares!?“, hatte man im Vorfeld verkündet. Aber abends dann bei der Zusammenfassung der Bilder des Tages war man dem royalen Glanz doch ganz erlegen, weil sich nur bei solch einer Hofberichterstattung magische Fernsehmomente erleben lassen wie jener, wenn ein weißes Stück Stoff in Großaufnahme übers Parkett schleift und eine sonore Männerstimme verkündet: „Und hier ist wieder die Schleppe sehr schön zu sehen.“ Und wer hätte je gedacht, dass die Länge der Schleppe sich nach der Länge der Kathedrale richtet und dass die Tradition des Hochzeitskusses auf dem Balkon recht jung ist und von Prinzessin Diana eingeführt wurde?

Am Freitag stand dann der nächste Ignorierungstermin „Tanz in den Mai“ oder „Revolutionäre Walpurgisnacht“ bevor. Wer noch recht bei Trost ist, meidet ja besonders an diesem Tag den Mauerpark, den Boxhagener Platz und alles drum herum, aber auch in den anderen Bezirken lag eine erwartungsvolle Stimmung in der Luft, sodass man sich fast archetypisch verpflichtet fühlte zu Tanz und Geselligkeit. Was tun? Zur Erheiterung ein wenig ums Schlesische Tor herumstreichen, schauen, wie viel Hostelhorden und Deppen mit Bierflaschen schon unterwegs sind, und die Choreografie der sich in Stellung bringenden Wannenkolonnen beobachten. Zum Glück war es dann doch recht frostig und kalt und man konnte bald getrost nach Hause gehen.

Wer seit 26 Jahren den 1. Mai bis auf wenige Ausnahmen in Kreuzberg verbringt, muss mit Wiederholungen rechnen. Es sind doch immer die gleichen schönen Bilder: die Rauchschwaden über der Adalbertstraße, die Oriental-Dance-Szenen am Feuerwehrbrunnen, das Auftauchen sämtlicher fast schon vergessener Musik – und Jugendkulturen in der Oranienstraße. Das schleichende Eintreten einer großen Müdigkeit, Überforderung und die Erkenntnis, dass das Rumlatschen auf Stadtfesten doch recht sinnlos ist.

Trotz dieser festen Größen ließen sich dieses Jahr doch ein paar Neuerungen feststellen: Die Maoisten und auch das schöne Bild der vielen roten Flaggen am Heinrichplatz fielen aus, dafür waren die Hells Angels als Anti-Konflikt-Team unterwegs. Neben den üblichen Myfest-Helfern gab es Myfest-Flaschenbeauftragte, die entsprechende T-Shirts trugen, sich wohl ums Glas kümmern sollten, aber eher so auf unnachahmliche Jungsart wichtigtuerisch herumlungerten. Noch einmal weiter ausgebreitet hatte sich das Myfest, gleichzeitig war zu beobachten, dass sich die Spätikultur immer weiter verfeinert und professionalisiert. Die Skalitzer Straße entlang hieß es: Kein Falafelladen ohne DJ-Line-up! Während in der Oranienstraße modisch das Polit-Outfit überwog, traf man am Spreewaldplatz wandelnde Freiheitsstatuen, Balletttänzerinnen, Barbies mit goldenen Hula-Hoop-Reifen als Accessoire, und im Görlitzer Park wurde gleich an drei Stellen – vor dem Edelweiß, am Pisstunnel und am Hügel – openair geravt.

Und so ist die Ignorierungsabsicht am 1. Mai ganz ins Gegenteil umgeschlagen. Verwundert spazierte die Beobachterin durch das Spektakel und fragte sich: Ist der 1. Mai jetzt eine informelle Loveparade? Wie schafft man es, einen ganzen Hügel unter Federn zu setzen? Und gehört der blasse Typ im Häschenkostüm, der fortwährend theatralisch „Ich bin die Revolution!“ ausruft, zur Generation der neuen Raver oder sind es nur dämliche Performer?