Bei Zuckerwatte im Dom lachen

SPEKTAKELKULTUR Entsetzlich komisch, im wahrsten Sinne, inszeniert Dirigent Christoph Hagel Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ im Berliner Dom

Bei all dem das Haydn’sche Oratorium recht platt illustrierenden Budenzauber schaffte es wohl niemand, noch der Musik zuzuhören

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Wer in die Fänge der Eventgastronomie gerät, sagen wir, in einen Keller einer mittelalterlichen Burg, läuft Gefahr, wegen dem ganzen Drumrum an Gauklern und Knochen-hinter-sich-Werfern gar nicht mehr zu schmecken, wes Tieres Knochen er da gerade abnagt. Ähnlich erging es einem bei der Premiere der jüngsten Produktion des „Klassik-Entrepreneurs“ und Dirigenten Christoph Hagel, der seit Samstag im Berliner Dom Haydns „Schöpfung“ grobschlächtig mit diversen sensorischen Ablenkungsmanövern klein macht.

Christoph Hagel ist eine umtriebige Gestalt auf dem Feld „Klassik meets Populärkultur“: In seinem Lebenslauf stehen in einer unendlich langen Liste u. a. „Don Giovanni“ im ehemaligen Berliner Technoclub E-Werk, eine Mozart-Revue im Wintergarten und „Flying Bach“ in der Neuen Nationalgalerie, wofür er das Wohltemperierte Klavier mit einer Breakdance-Truppe zusammenbrachte und erst letztes Jahr den Sonder-Klassik-Echo einheimste. Fünf Wochen lang kann man sich jetzt den neuesten Hagel’schen Zuckerwatte-Clash im Dom antun und dafür irgendwas zwischen 26 und 58 Euro hinblättern. Dafür bekommt man dann knappe anderthalb Stunden um die Hälfte gekürzte „Schöpfung Redux“, schöne Körper, süße Kinder, auf die Kirchenwände videoprojizierte Blitze, Orchideen und Quallen, einen üblen Sound und bei entsprechender Goodwill-Disposition eine Menge zu lachen.

Für die „Vorstellung des Chaos“ zu Anfang hat sich Hagel des bei Haydn nicht auftretenden Luzifers bedient. Der Tänzer Khaled Chaabi (laut Programmheft ausgebildet in „Powermoves, Styles, Modern, Locking, Hip-Hop und Popping“, hell yeah!) gibt den gefallenen Engel als kunstvoll auf dem Kopf spiralisierenden Derwisch. Dann wird es Licht, eine kleine Besetzung der Berliner Symphoniker spielt lustlos, der an die Seite gequetschte Chor der Berliner Symphoniker tut seine Arbeit, auf der Bühne tummeln sich die extra auf jugendlich getrimmten Gesangssolisten.

Neun TänzerInnen stellen in einer grundsätzlich gar nicht so unansehnlichen Verquickung von Ballett- und Urban-Dance-Moves die Erschaffung von Flora und Fauna nach, zusätzlich machen einige fürs Gemüt involvierte Kindertänzer schrecklich nette Sachen: Sie setzen dem Bariton eine Pudelmütze auf, als er von der Erschaffung des Schnees singt, tun so, als graffiti-sprayten sie Löwe, Tiger, Pferd und Kuh an die Leinwand und werfen begleitend zur Kreation der Gestirne große weiße Ballons ins Publikum. Die Premierengäste hatten Spaß an solcherlei Interaktionszwang – nur schaffte es wohl niemand, bei all dem Budenzauber noch der Musik zuzuhören. Die aber kam wegen schlechter Mikrofonierung sowieso in dreifacher Ausführung und niemals synchron aus den Boxen links, den Boxen rechts und original aus Mündern und Instrumenten.

Je länger es dauerte, desto entsetzlich-komischer wurde es, absichtlich oder unabsichtlich: Hagel ließ zwar zum Glück nicht kreationistisch die Menschen aus dem Nichts auftauchen, sondern stülpte den Tänzern erst mal Affenmasken über – woraus sich lustige Momente ergaben, etwa als die äffischen Frühmenschen parallel zum den Ruhm des Herrn preisenden Chor den Gebrauch einer Keule als Waffe lernten. Oder der Tenor „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde“ sang, die Kinder aber Adam seinen Affenkopf noch nicht heruntergerissen hatten, weswegen das Ebenbild noch recht dümmlich als Gorilla von der Bühne glotzte. Eva wiederum trat in einem musikalischen Intermezzo auf den Plan: Zu einem feurigen Latino-Danzón ließ sie ihren Gaze-Bolero sexy flattern, um sich hernach weibchenhaft scheu von Adam einfangen zu lassen. Wie die beiden dann mit einer lebendigen Schlange herumtoyten, als wären sie auf der Reeperbahn, wozu die Sangessolisten das Duett „Holde Gattin! Teurer Gatte!“ intonierten, war von ähnlich widerwärtiger Komik wie die Choreografie des Finales.

Hier marschierte das Ensemble im Stechschritt und riss die Arme fast hitlergrußhaft in die Senkrechte, während der Chor „Alles lobe seinen Namen, denn er allein ist hoch erhaben“ schmetterte. Dass ganz zum Schluss dann noch der Altar mit seinem zentralen Kreuz sichtbar wurde, vor dem die Multikulti-Dance-Crew breakte und headspinnte, war in Sachen Unbeholfenheit nur mehr ein passgenaues i-Tüpfelchen. Den Menschen aber gefiel’s, und die als Touristenattraktion ausgebeuteten Tänzer ließen sich gern feiern. Nur Chor und Orchester wurden vom Dirigenten noch nicht mal zum Aufstehen animiert, sie hatten ja nur die Knochen geliefert zu diesem üppig dekorierten Verrat an der Musik.

■ Nächste Vorführungen am 5., 6., 7. Mai im Berliner Dom