Erhabenes Sibirien

ZU VIEL KALKÜL Peter Weir hat in „The Way Back – Der lange Weg“ eine Flucht aus dem Gulag verfilmt

Es ist das Jahr 1941. Eine Gruppe Männer flieht aus einem sibirischen Gulag und schlägt sich über den Baikalsee, die Mongolei und den Himalaya bis nach Indien durch. Zu Fuß. Trotzt Eis, Schnee, Wind, Wetter, Wüste, Mückenbefall und gelegentlicher Desorientierung. Zwischendurch stößt eine Polin zur Truppe (Saoirse Ronan), Hunger und Durst sind immer wieder sehr groß. Man isst, was einem über den Weg läuft, kreucht, krabbelt und fleucht. Gestorben wird auch, einige jedoch kommen durch.

Mit der Beschreibung des Lebens im Lager beginnt der Film. Beziehungen bahnen sich an. Ein Russe nimmt den Mund mit Fluchtplänen voll und schreckt vor der Tat dann zurück. Janusz (Jim Sturgess), der Held, erwirbt im Rahmen der gulaginternen Handelsbeziehungen Essensrationen für den Beginn des sehr langen Wegs. Der schwer kriminelle Valka (Colin Farrell) ist schnell und gern mit dem Messer zugange und gelangt an einen warmen Pullover auf wenig redliche Art. Als dritte Zentralfigur fungiert ein Amerikaner: Smith, Mr. Smith (verwittert: Ed Harris), ein schlauer Zyniker, der an Janusz egoistisch dessen Güte schätzt.

„The Way Back“ ist die Verfilmung eines recht umstrittenen Werks, das in Polen ein Bestseller war. Veröffentlicht hat Slavomir Rawicz im Jahr 1955 ein von einem Ghostwriter nach seinen Angaben verfasstes Buch mit dem Titel „Der lange Weg“ als so unglaubliche wie wahre Geschichte. Im Jahr 2006 fand die BBC dann bei Recherchen heraus, dass Rawicz zwar in sowjetischer Gefangenschaft war, jedoch nach Lage der Dokumente nicht floh, sondern amnestiert worden ist. Also ist, was Peter Weir hier erzählt, eher das Produkt einer in betrügerischer Absicht produktiv gewordenen Einbildungskraft. Gegen den Film spricht die Täuschungsabsicht des Vorlagenautors aber noch nicht unbedingt.

Was deutlicher gegen ihn spricht, sind andere Dinge. Der Vorspann bereits kann einen sehr misstrauisch stimmen. Kein großes Studio steht hinter dem Film, in europuddinghaft großer Zahl sind die Produzenten und Geldgeber aus aller Herren Länder von Abu Dhabi bis Polen versammelt. Das birgt stets die Gefahr, dass es ein Filmemacher unter solchen Umständen allzu vielen Interessen recht machen muss. In diesem Fall schlägt der Einfluss von National Geographic wohl am verheerendsten durch: „The Way Back“ wird insbesondere in den postsibirischen Teilen eine Reise durch in hinreißenden Totalen eingefangene Landschaft mit der ästhetischen Wirkungsabsicht „schön und erhaben“.

Dieser Missbrauch einer Geschichte fürs Bild wäre noch zu ertragen, bliebe nicht das Drehbuch im Dialog überdeutlich und in Sachen Überleben detailarm und unspezifisch. So vieles hätte man gerne genauer gewusst und näher erfahren. „The Way Back“ marschiert jedoch stets in großer Nähe zum bereits bekannten Klischee. Zwischen den Figuren entwickelt sich wenig bis nichts. Alles endet nach 130 sehr zähen Minuten mit einer rasanten Fußmarschmontage durch dokumentarische Bilder ans Ende der Sowjetmacht in Polen. Nach vielen Durststrecken und Tempoverschleppungen gelangt „The Way Back“ so an sein fragwürdig drangepapptes historisches Ziel. EKKEHARD KNÖRER

■ „The Way Back – Der lange Weg“, Regie: Peter Weir. Mit Ed Harris, Colin Farrell u. a. USA 2010, 132 Min.