Ein inszenierter Absturz

MOCUMENTARY In „I‘m Still Here“ filmt Casey Affleck die mediale Selbstvernichtung seines Schwagers Joaquin Phoenix

Das Konzept ist ja wirklich interessant: Die Bühne des Schauspielers ist das Hollywood von heute, und so vermischen sich Inszenierung und Realität bald untrennbar

VON WILFRIED HIPPEN

Es ist eine der seltsamsten Hollywood-Geschichten der letzten Jahre. Auf der Höhe seiner Karriere, nach zwei Oscar-Nominierungen, von denen er zumindest den Preis für seine Rolle als Johnny Cash auch verdient hätte, gab Joaquin Phoenix bekannt, dass er nicht mehr als Schauspieler arbeiten und stattdessen eine neue Karriere als Hip-Hop-Künstler starten wolle. Doch schnell machten Gerüchte darüber die Runde, dass diese nur ein Streich (auf englisch hoax) sei, und Joaquin sehr wohl weiter als Schauspieler arbeiten würde, und zwar in einem Filmprojekt seines Schwagers Casey Affleck, der genau von diesem Karrierewechsel der Filmfigur Joaquin Phoenix handelt. Dies ist nun der Film, der scheinbar diesen Verdacht bestätigt, aber in wieweit das Ganze tatsächlich inszeniert war, bleibt auch nach Ansicht von „I‘m Still Here“ unklar.

Ein Jahr lang hat Joaquin Phoenix systematisch seinen Ruf demontiert. Im Film sieht man ihn nur übergewichtig, ungepflegt, mit zotteligen Haaren und einem wild wuchernden Bart. Dies ist ganz offensichtlich eine Verwandlung/Verkleidung für die Rolle, wie man sie von amerikanischen Filmschauspielern kennt, die sich oft für Filme mästen oder dünn hungern. Und in den ersten Szenen scheint der Film auch einem Skript zu folgen: Phoenix gibt mit großer Medienpräsenz seinen Rückzug aus dem Filmgeschäft bekannt, er spielt ein wenig den dekadenten Hollywoodstar und vergnügt sich mit Callgirls in einer Hotelsuite. Damit wollten er und sein Schwager, die beide übrigens im Abspann als Drehbuchautoren genannt werden, schnell zum Beginn den Sex abhaken, denn im Rest des Films gibt es keine Anzeichen von sexuellen Aktivitäten des Protagonisten, und dass Joaquin Phoenix ein ganzes Jahr lang keusch bleiben würde, wäre noch unglaublicher als die Geschichte mit dem Hip-Hop-Künstler.

Als solcher ist Joaquin Phoenix verdächtig schlecht. Dies ist der Mann, der in „Walk the Line“ alle Johnny Cash Songs überzeugend selber sang – mit etwa Anstrengung könnte er auch ein überzeugender Rapper sein. Stattdessen gibt er die Karikatur eines weißen Möchtegerns, und dies macht er so überzeugend, dass man ihn schon dafür bewundern muss.

Das Konzept ist ja wirklich interessant: Die Bühne des Schauspielers ist das Hollywood von heute, und so vermischen sich Inszenierung und Realität bald untrennbar. Die frühen Gerüchte um den Hoax haben den Filmemachern sicher einen dicken Strich durch die ursprüngliche Rechnung gemacht, doch sie veränderten entsprechend das Konzept und spielten mit höherem Einsatz weiter. Der Film zeigt Phoenix als einen höchst unsympathischen Egozentriker, der es für selbstverständlich hält, dass Sean Combs (den er ständig, sehr uncool, als „Diddy“ anspricht) seine unausgegorenen Hip-Hop-Ergüsse produziert und er wird durch dessen ehrliche Frage „Why do you want to do this?“ kalt erwischt. Die Szenen in Combs Studio sind dramaturgisch so auf den Punkt genau gesetzt, dass hier die Inszenierung am deutlichsten wird, aber was ist mit dem inzwischen legendären Auftritt des zugedröhnten Phoenix in der David Letterman Show, bei dem der Gastgeber ihn sichtlich angefressen mit den Worten „Schade, dass Sie nicht da waren!“ verabschiedete und durch den Phoenix (Hoax hin oder her) sich medial endgültig selbst vernichtete.

Dann gibt es wieder eindeutige dramaturgische Bögen wie jenen über den persönlichen Assistenten von Phoenix, der von diesem den ganzen Film über sadistisch gepiesackt wird, bis er sich (vor Beginn des letzten Aktes in der so genannten „falschen Krise“) auf eine ähnlich widerwärtige und sehr theatralische Weise bei ihm rächt. Sicher nicht geplant war die heftige Reaktion der Hollywood-Gemeinde, die sich bald gnadenlos in zahllosen Parodien über Phoenix lustig machte.

Dies ist ein Film, der längst nicht so gut ist wie seine Geschichte. Casey Affleck hat ihn meist mit wackliger Digitalkamera gedreht, und Phoenix ist zwar bis zuletzt absolut überzeugend, aber dass macht seinen Absturz nur um so schwerer zu ertragen. Er hat teuer für diese Rolle zahlen müssen. Hollywood hat ihm bis heute nicht verziehen. Er hat fünf Jahre lang keinen Film gemacht (zur Zeit dreht er einen kleinen Film, der erst 2013 herauskommen soll) und selbstverständlich auch kein Hip-Hop-Album herausgebracht. „I‘m Still Here“ ist in den amerikanischen Kinos gefloppt und kommt nun auch hier nur mit wenigen Kopien in die Kinos. Der Witz ging wohl nach hinten los.