Huldigung an einen Hausgott

MEHR ALS MUSIK 365 Tage John Cage und Tanzstücke von Merce Cunningham. Bis zu Cages 100. Geburtstag am 5. September 2012 feiert die Akademie der Künste ihre lange Verbindung zur amerikanischen Avantgarde

Die beiden Minimalisten verrichteten geduldig ihre Arbeit, ließen sie geschehen, gaben Kontrolle ab

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Am 5. September 2012 jährt sich der Geburtstag von John Cage zum 100. Mal, und bis zu diesem Tag dehnt sich das Programm aus Ausstellungen und Konzerten, mit dem die Akademie der Künste ihrem Hausgott huldigt. Ein erster Akt ist der „Raum für John Cage“, in dem sechs Mitglieder der Akademie Cage als Referenzpunkt einer eigenen Arbeit nehmen. Die Institution der Akademie feiert damit im frisch sanierten Haus am Hanseatenweg, in einem der schönsten Gebäude der Nachkriegsmoderne in Berlin, auch ein wenig sich selbst und ihre Geschichte der transatlantischen Verbindungen: dockte die amerikanische Avantgarde doch oft in ihrem Haus an, gerade auch in jenen Westberliner Zeiten, als die Stadt etwas im eigenen Mief köchelte.

Akustische Reibung

Am Prozess war John Cage stets mehr interessiert als am Werkbegriff. Tatsächlich gibt es auch im „Raum für John Cage“ keine Werke von ihm, sondern stattdessen Zeugnisse der Auseinandersetzung mit ihm. Zum Beispiel von der Choreografin Reinhild Hoffmann, die in den siebziger Jahren, als sie an der Folkwangschule in Essen an einer eigenen Bewegungssprache arbeitete, eher zufällig auf John Cage stieß. Für ihr „Solo mit Sofa“, dass sie als Choreografin bekannt machte, suchte sie eine akustische Reibung, eine menschliche Stimme, und fand die in einem Schallplattengeschäft in den „Empty Words“ von Cage, einem Murmeln nahe am Mikro, sanft und losgelöst vom Sinn der Worte, lautmalend, emotional. Erst sehr viel später, mit 70 Jahren, performte Cage „Empty Words“ live zu ihrem Solo. Szenen des Solos sieht man jetzt auf fünf Monitoren: Hoffmann ist durch eine lange Stoffbahn mit einem Sofa verbunden, das ihr Anlass zu mondänen Posen gibt und zum Anhang wird, an den sie wie ein Sklave an die Galeere gefesselt ist. Hoffmanns Bewegungssprache ist expressiv und aufgeladen einerseits, andererseits aus sehr konkreten Gegebenheiten entwickelt, aus einem Diskurs mit den Dingen. Und darin ist sie John Cages Umgang mit akustischen Phänomen verwandt, auch wenn der oft viel abstrakter wirkt und entspannter. Seine „Empty Words“ unterlegten ihre Anstrengungen und Setzungen mit einem Moment des einfachen Zulassens und Fließenlassens – ein schöner Gegensatz.

Wie Cage mit Alltagsgeräuschen arbeitete, kann man wiederum sehen, aber nicht hören, in einer Installation, die Reinhard Jirgl entworfen hat. Ein Teil davon ist die stumme Projektion eines Fernsehauftritts von Cage 1960, man sieht ihn mit Gießkanne, Wasserkessel, Badewanne und Stoppuhr hantieren und hört derweil nur die eigenen Schritte im knirschenden Kies der Installation. Man steht dabei zwischen einem Spiegel und einer Textwand mit Cages „Texte für Nichts“, ständig mischt sich die Selbstwahrnehmung in die Beschäftigung mit ihm, und darauf kam es ihm ja auch an.

Auch Dokumentarfilme, die Klaus Wildenhahn in den sechziger Jahren über John Cage und Merce Cunningham, den 40 Jahre mit ihm befreundeten Choreografen drehte, laufen im „Raum für John Cage“. Wer Zeit mitbringt, kann sich einarbeiten in den Kosmos der beiden Minimalisten, auch im Foyer laufen viele Interviews mit und Porträtfilme über die beiden. Man sieht sie als junges und als älteres Paar, stets sehr höflich und geduldig ihre Arbeit mit dem Prinzip des Zufalls wieder und wieder erklärend. Und wie sie mit dem Vorgefundenen arbeiten, etwas geschehen lassen, Kontrolle abgeben. Und selbst, wenn man nur hier und da in die Filme reinschaut, bekommt man doch auch mit, wie herausfordernd und nicht einfach einzulösen ihre Konzepte für Cunningshams Tänzer oder Cages Performer waren: Allein die Freiheit, die sie den Ausführenden oft im Umgang mit der Zeit ließen, verunsicherte diese oft furchtbar.

Als Merce Cunningham im Juli 2009 starb, hatte er verfügt, dass seine Company seine Stücke noch zwei Jahre aufführte und sich dann auflöse. Daraus ist „the legacy tour“ entstanden: Eines seiner letzten Stücke, „Nearly Ninety“, wird am 22. und 23. September in der Volksbühne gastieren, mit großer Anmut von seiner Company getanzt, beinahe klassisch wirken seine Bewegungen hier. Natürlich verändert sich der Blick auf das leichte Geflecht des Hierhin und Dorthin, wenn man weiß, dass dies auch ein Abschied ist. Am 26. und 27. September zeigt die Cunningham Company in der Akademie, in der sie vor fast vier Jahrzehnten auch ihre ersten Auftritte in Berlin hatte, drei frühe Stücke zur Musik von John Cage.

Ratternde Projektoren

Cunningham selbst ist in einer Filminstallation von Tacita Dean zu sehen, die eine große Halle in der Akademie einnimmt. Man sieht ihn, alt und fragil geworden, auf einem Stuhl sitzen und schauen in einem fast leeren Studio. Die Projektoren rattern, überlaut erscheint das Rauschen des Raums, in dem Cunningham sitzt, ein Brummen der Stadt vor der Tür. Manchmal bewegt er den Kopf. Erst der Titel von Deans Installation „Merce Cunningham performs stillness“ bringt einen darauf, dass man ihn Cages Stück „4’33“ ausführen sieht, das lediglich vorsieht, 4 Minuten und 33 Sekunden der Stille Raum zu geben, von wem auch immer ausgeführt. Was in der Stille entsteht, liegt an den Beobachtern ebenso sehr wie an den Ausführenden. Und in diesem Fall scheint ein wunderbares Stück über Freundschaft, Alter, Liebe, Erinnerung und Abschied daraus geworden zu sein.

■ „Ein Raum für John Cage“, bis 27. November in der Akademie am Hanseatenweg, „Merce Cunningham performs stillness“, bis 3. Oktober