Fisch mit Honig

ISLANDSAGA (2): Island, Bankencrash, und der Antiheld ist ein Banker. Ist das nicht zu einfach?

Man stellt sich Isländer ja meist als höchst depressive Menschen vor, muss ja, bei so viel Dunkelheit und Kälte.

Wie in dem einen Monty-Python-Sketch, in dem Graham Chapman einen isländischen Honigverkäufer spielt, der natürlich nur importierten Honig verkaufen kann, weil es in Island nur Fisch gibt und noch mal Fisch und allerhöchstens importierten Honig, und den würde er jetzt hier verkaufen, weil, das sei halt auch ein Job, und der halte ihn wenigstens von Island fern.

Und natürlich kann man sich unter solchen Bedingungen sehr gut die Lust auf Bluträusche vorstellen. „Da sprangen die Žórveigssöhne hervor, stürzten sich auf ihn und schlugen lange auf ihn ein“ (Isländersagas 3), und an den handverlesenen Sommertagen gibt’s nur milchiges Nordlicht, und schon aus Neid auf die in den wärmeren Gefilden fährt man dann zur See hinaus und schlachtet alles ab, was da so entlangkommt, Wale, braungebrannte Piraten, die sich verirrt haben, und dann, einmal an Land, fackelt man jedes Dorf ab, das sich anbietet, schon der Wärme wegen, und dann hat man einen Kater und Heimweh und segelt tatsächlich wieder zurück in die kalte Nacht.

Aber Island ist nicht Norwegen. Und doch, sieht man einen Skandinavier, denkt man, kann nicht sein, dass das die Nachkommenschaft der Wikinger sein soll, so ein Skandinavier sieht nämlich meist sanft aus und freundlich und harmlos.

Wie der Autor Gudmundur Óskarsson. Der steht auf der Rückseite seines Buchs gegen eine Hauswand gelehnt, mit lässig-interessanter Kleidung, Zigarettenstumpen am Mund, verwehter Frisur, eckiger Brille. Und sieht eben doch genau so aus: freundlich, harmlos.

In seinem Buch „Bankster“ (Frankfurter Verlagsanstalt) geht es um einen jungen Banker, der eines unverhofften Tages in die Freiheit entlassen wird, weil seine Bank beim berühmten isländischen Bankencrash schließen musste. Und jetzt sitzt er da und führt Tagebuch, um sich über seine Situation klar zu werden.

Die an sich so schlecht nicht ist: Immerhin hat er, sein Name ist Markús, eine attraktive Freundin, eine attraktive Wohnung in der Stadt, eine hilfsbereite Familie, Freunde. Aber natürlich zerfällt allmählich alles, langsam, wie in Zeitlupe; seine Freundin Harpa ist von einer anderen psychischen Struktur und ersetzt ihren Job – sie arbeitete ebenso in einem Finanzunternehmen – gleich durch einen anderen; sie wird Aushilfslehrerin.

Das Problem an dem Buch ist nicht, dass man sich das nicht alles sehr gut vorstellen könnte. Man kann sich das alles sehr gut vorstellen, und als Film würde das auch eine sehr gute Weile lang tragen. Man stelle sich nur ein Setting vor wie im letzten Hochhäusler-Film „Unter dir die Stadt“, dazu Bilder vom kalten, klaren Reykjavik.

Aber so, als Buch, funktioniert das nicht: Es will und will kein Mitleid, keine Empathie aufkommen mit einem gefallenen Schnösel. Eine Weile liest man das ganz gern, weil man auch das Format „fiktives Tagebuch“ mag, aber auch sprachlich trägt das nicht sehr weit, und die eingebaute Beziehungsgeschichte ist eher na ja.

Und wie in jedem nicht ganz so guten Buch findet sich auch hier eine Stelle, auf die alles zusammenschnurrt: „Etwas früher an diesem Abend hat Vésteinn von seiner Doktorarbeit erzählt, und ich vermute, dass der Historiker in ihm die Idee zum Tagebuch mit Vorwort hatte, vielleicht will er, dass ich etwas schreibe, das später als Zeugnis einer geschichtsträchtigen Zeit gelten kann.“

Aber Banker, „Bankster“ als Antihelden, das ist zu einfach. Das bessere Buch zu diesem Thema heißt denn auch „Sickster“ und stammt von einem Deutschen namens Thomas Melle.

Island indes, das tatsächlich einst unerschwinglich war, obwohl es außer Vulkanen, Mythen, Fisch und importiertem Honig nicht viel zu bieten hatte, hat inzwischen einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt. Ab unter den Rettungsschirm.

Die alte Geschichte der neoliberalen Krieger ist zu Ende, die Saga freilich geht weiter: „Hallfreds Leichnam wurde zur Kirche gebracht und würdevoll bestattet. Aus seinem Armreif fertigte man einen Kelch, aus seinem Gewand ein Altartuch, und aus seinem Helm machte man Kerzenhalter“ (Isländersagas 3: Die Saga von Hallfred dem Schwierigen).

In diesem Sinne. Fortsetzung folgt. RENÉ HAMANN

■ Island ist das diesjährige Gastland der am 11. Oktober beginnenden Frankfurter Buchmesse. Über seine Leseerfahrungen der vielzähligen aus diesem Anlass ins Deutsche übersetzten isländischen Bücher berichtet unser Autor bis dahin in loser Folge.