Das rumänische Dreieck

DREIECKSGESCHICHTE In „Tuesday, after Christmas“ erzählt Radu Muntean von den Auflösungserscheinungen einer Ehe. Fast vergisst man, dass sein Film in Rumänien spielt

Wenn Muntean Alltag in Echtzeit zeigt, zwingt er sein Publikum, genau hinzusehen, denn was bleibt ihm sonst übrig

VON WILFRIED HIPPEN

Er fährt eines neues, in Deutschland gebautes Auto, plant den Skiurlaub in Österreich, besitzt die neusten elektronischen Kommunikationsmittel und die Tochter bekommt einen „Barby-Party Cruiser“ geschenkt. All das ist so selbstverständlich, dass er nicht einmal mit seinem Status prahlen müsste. Dieser Subtext ist für hiesige Zuschauer so überraschend, dass sie darüber fast das Hauptthema des Films aus den Augen verlieren. Paul ist ein Bankier in Bukarest – nicht einmal besonders ehrgeizig oder gierig, nur offensichtlich gut in seinem Job. Und so gehört er zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks mit seiner Familie zu einem urbanen Mittelstand, der sich grundsätzlich kaum noch von dem in Mitteleuropa unterscheidet. Gerade dadurch, dass der Regisseur Radu Muntean dies so unterschwellig vorführt, wirkt es um so nachhaltiger.

Vordergründig erzählt er hier nur davon, wie Paul sich eine Zeitlang zwischen seiner Frau und seiner Geliebten laviert, wie er in den Tagen vor Weihnachten Zeit für die eine von der anderen und seiner Tochter stiehlt und dabei in immer unangenehmere Situationen kommt. Doch dies sind keine hochdramatischen „Szenen einer Ehe“, sondern eher Alltagssituationen, die so subtil und detailreich ausgeführt sind, dass im Grunde alles in den Zwischentönen erzählt wird. So beginnt der Film mit einer 8-minütigen, ungeschnittenen Einstellung, die Paul mit seiner Geliebten im Bett zeigt. Beide fühlen sich offensichtlich miteinander wohl, sie scherzen, plaudern, tauschen vertraut Zärtlichkeiten aus. Eine Idylle, ein Moment Glück, den nicht viele Filmemacher und Darsteller so natürlich erscheinen lassen können.

Nach dem Schnitt wirkt folgende alltäglich Szene mit Paul und seiner Familie fast wie ein Schock, doch auch hier spürt man eine Vertrautheit der Figuren zueinander, die davon zeugt, wie gut der Regisseur seine Charaktere kennt und wie geschickt er es versteht, sie uns gerade bei banalen Tätigkeiten und eben nur scheinbar nichtssagenden Gesprächen nahe zu bringen.

Manchmal sind seine langen Einstellungen, in denen nichts zu passieren scheint, schon leicht enervierend. Wenn Muntean so Alltag in Echtzeit zeigt, zwingt er sein Publikum förmlich, genau hinzusehen, denn was bleibt uns anderes übrig ? Aber er weiß auch immer genau, wie weit er damit gehen kann und so gibt es in seinem Film auch ein paar virtuos inszenierte Szenen, in denen nichts ausgesprochen und doch alles gesagt wird.

So etwa jene, in der Paul mit seiner Tochter zur Zahnärztin geht. Die Tochter soll eine teure Zahnspange eingesetzt bekommen, die Mutter kommt überraschend auch zu dem Termin ohne zu ahnen, dass die Zahnärztin die Geliebte von Paul ist. Die vier Hauptpersonen sind in dem engen Behandlungsraum versammelt, jeder von ihnen erlebt die Situation völlig anders, und Muntean arbeitet so einfühlsam und einfallsreich mit Gesten, Blicken, Andeutungen und Spannungen, dass hier dann doch (man meint fast gegen seinen Willen) großes Gefühlskino entsteht.