IN DER LINIE 1
: Kranke Verwandte

Ich könnte einen Süchater gebrauchen

Auf dem Weg zur Linie 1 sehe ich einen Mann, der aus einem Abfallkorb einen Coffee-to-go-Pappbecher fischt, den Deckel abmacht, den Kaffeerest ausschüttet und den Becher dann mitnimmt. Warum?, frage ich mich.

In der U-Bahn lese ich das neueste Journal von Miss Trixie. Vierfarbig, kleinformatig und in nur einem Exemplar verfügbar. Unter „Vermischtes“ steht: „In China stürzte sich ein Mann von einem siebenstockwertigen Hochhaus. Süchater hatten sich 4 Jahre lang um ihn gekümmert. Dass er wieder Lust am Leben hat. Die Süchater waren Profis und haben sich sehr Mühe gemacht. Experten fragen sich nun, warum es nicht geholfen hat. Wahrscheinlich war er unbeliebt, auch in der Schule. Man glaubt auch, dass er kranke Verwandte hat und sich Sorgen gemacht hat. Polizisten versuchen jetzt auch was herauszufinden.“

Da versuche ich, lustige und hinterhältige Texte zu schreiben, und dann kommt eine zehnjährige Göre daher, noch dazu meine eigene Tochter, und zeigt mir ganz nebenbei, wie ein lustiger und hinterhältiger Text aussieht. Ich glaube, jetzt könnte ich auch einen Süchater gebrauchen. Aber den haben andere auch nötig. Zum Beispiel die drei Spanier, die gerade den Waggon entern. Einer hat eine Trompete, der Zweite hält ein Plastikharmonium in den Händen, und der Dritte zieht eine fette Box mit Anlage wie einen Rollkoffer hinter sich her und sagt irgendwas auf Spanisch, von dem ich nur „bruta“ verstehe. Dann dröhnt „Hit the Road, Jack“ von Ray Charles durch den Waggon. Sie tun ein bisschen so, als ob sie mitspielen würden. Dann geht einer mit einem Coffee-to-go-Becher herum. Klar! Beim Verlassen der U-Bahn versteckt der eine seine Trompete unter der Jacke. Vielleicht hat er ja auch kranke Verwandte und macht sich Sorgen, dass Polizisten versuchen könnten, was herauszufinden. KLAUS BITTERMANN