Verloren geglaubt

STUMMFLIM „Mania – Die Geschichte einer Zigarettenarbeiterin“ (1918) wird morgen in der Volksbühne gezeigt – mit Orchesterbegleitung und erstmals seit vielen Jahrzehnten in der ursprünglichen Form

Der internationale Status der Produktion war schon damals keine Besonderheit

Der Stummfilm ist zu einem Politikum geworden, stellvertretend für die vergangenen Versäumnisse im Umgang mit dem Filmerbe. Kaum ein großes europäisches Restaurierungsprojekt der letzten Jahre kam ohne staatstragende Rhetorik und repräsentative Gesten aus, in denen die glorreiche Vergangenheit der nationalen Filmindustrien mitbeschworen wurde – etwa wenn der UFA-Blockbuster „Metropolis“ seine Wiederaufführung am symbolträchtigen Brandenburger Tor erfährt. Und im kommenden Jahr schickt das Britische Filminstitut neun restaurierte Hitchcock-Stummfilme auf Reisen; sie dienen als kulturelles Rahmenprogramm für die Olympischen Sommerspiele in London.

Die Wiederentdeckung des Dramas „Mania. Die Geschichte einer Zigarettenarbeiterin“ (1918) bietet nun Gelegenheit, den Stummfilm einmal gegen solche Vereinnahmung in Schutz zu nehmen. Dem Umstand, dass die junge Pola Negri in einer ihrer ersten Hauptrollen zu sehen ist, verdankt der Film die zweifelhafte Ehre, anlässlich der polnischen EU-Ratspräsidentschaft Europas Hauptstädte zu bespielen. Negri war der erste polnische Filmstar Hollywoods, doch ihr Frühwerk galt lange als verloren. 2006 ging eine Kopie von „Mania“ aus dem Besitz eines tschechischen Sammlers in den Bestand der Filmoteka Narodowa über. Wenn der Film morgen in der Volksbühne erstmals seit vielen Jahrzehnten wieder in seiner ursprünglichen Form zu sehen ist, wird darin auch die vertrackte Interessenlage um den Stummfilm heutzutage deutlich. Denn die Restaurierung von „Mania“ ist das Herzstück einer groß angelegten Initiative des Filmoteka Narodowa zum Erhalt des polnischen Vorkriegskinos – obwohl der Film eine deutsche Produktion ist.

„Mania“ war Pola Negris erster Film für die UFA (im selben Jahr stand sie erstmals für Lubitsch vor der Kamera), Regie führte der Ungar Eugen Illés, für das Setdesign zeichnete Paul Leni verantwortlich. Der internationale Status der Produktion war schon damals keine Besonderheit, dieser Umstand sollte morgen Abend also nicht vom Wesentlichen ablenken: von der Freude über die Wiederaufführung eines weiteren verloren geglaubten Stummfilms. Illés’ Film über ein junges Arbeitermädchen, das zur Muse eines aufstrebenden Komponisten avanciert, seine Liebe schließlich aber für dessen Karriere opfert, ist ein konventionelles Melodram, das mit einer für die damalige Zeit erstaunlich komplexen psychologischen Wendung aufwartet. Pola Negri beschert dem Film mit ihrer hinreißend expressiven Körpersprache natürlich seine schönsten Momente. Und die pittoreske, aber unaufdringliche Musik von Jerzy Maksymiuk, live eingespielt vom Kammerorchester Leopoldinum, fungiert immer dann als gelungenes dramatisches Korrektiv, wenn die einfachen Gefühle auf der Leinwand wieder mal überhandzunehmen drohen. ANDREAS BUSCHE

■ „Mania – Die Geschichte einer Zigarettenarbeiterin“: am 8. 11. in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 19.30 Uhr