Ein kosmischer Doppelgänger

BIGLOBAL In „Another Earth“ erzählt Mike Cahill nur vordergründig die fantastische Geschichte einer parallelen Erde, die plötzlich neben der unseren erscheint

Die andere Erde ist eher ein romantisches als ein astrologisches Objekt, denn in dieser Spiegelwelt leben die gleichen Menschen

VON WILFRIED HIPPEN

Ein gar nicht schlechter Maßstab für die Qualität eines Films besteht darin, wie gut in ihm unsere Erwartungen getäuscht werden. Bei „Another Earth“ deuten etwa schon der Titel und das Schlüsselbild eines riesig am Himmel hängenden zweiten blauen Planeten darauf hin, dass wir es mit einem Science-Fiction Film zu tun haben. Doch die „Science“ interessiert die Filmemacher dabei herzlich wenig, und dies erkennt man schon daran, dass sie sich über die katastrophalen Auswirkungen der in solch einem Fall auf den Planeten einwirkenden Schwerkräfte absolut keine Gedanken gemacht haben. Da ist sogar Lars von Trier in seiner Weltuntergangs-Oper „Melancholia“ (bei dem ja ein frappierend ähnlicher Himmelskörper das Firmament beherrscht) noch realistischer. Die andere Erde ist eher ein romantisches als ein astrologisches Objekt – ein kosmischer Doppelgänger, denn dort leben (fast) genau die gleichen Menschen in (fast) genau den gleichen Umständen. Dies wird in einer zugleich sehr spannenden und komischen Szene deutlich, in der eine Wissenschaftlerin zum ersten Mal per Funk in Kontakt zu den Bewohnern des anderen Planeten aufnimmt und (konsequent logisch) mit sich selber am anderen Ende der Verbindung spricht. Wenn beide Welten absolut deckungsgleich wären, könnte keine von den beiden antworten, denn beide würden immer gleichzeitig das Gleiche sagen. Es gibt also kleine Unschärfen und um diese geht es.

Denn die Heldin des Films Rhoda hat einen winzigen Fehltritt getan und damit neben ihrem eigenen Leben das einer ganzen Familie zerstört. Als angehende Studentin der Astrophysik war sie bei der ersten Sichtung des anderen Planeten so fasziniert, dass sie nachts im fahrenden Auto statt auf den Verkehr in den Himmel schaute. Dabei verursachte sie einen Unfall, indem von einer ganzen Familie nur der Vater schwerverletzt überlebte. Nach ein paar Jahren im Jugendgefängnis sucht sie immer noch Schuld geplagt diesen Mann, der jeden Lebenswillen verloren hat und sich voller Depressionen in ein Landhaus zurückgezogen hat. Sie stellt sich ihm als eine Putzfrau vor, beginnt für ihn sein Haus aufzuräumen und ordnet langsam nicht nur das äußerliche, sondern auch das innerliche Chaos seines Lebens. Er weiß natürlich nicht, dass sie für sein Elend verantwortlich ist. Diese Geschichte von zwei Menschen, die sich langsam nahekommen, und von denen einer ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt, wird gerne und oft erzählt. Und wenn im Drehbuch nicht die andere Ebene der Parallelwelt eingebaut worden wäre, hätten die dramaturgischen Klischees solch eines romantischen Plots (irgendwann muss alles herauskommen) kaum vermieden werden können. Brit Marling (die zusammen mit Mike Cahill auch das Drehbuch schrieb) und William Mapother sind in den Hauptrollen absolut glaubwürdig und sehr intensiv in der Darstellung von Verlust, Trauer, Schuld und Wut, aber da die zweite Welt, in der alles ein wenig anders hätte kommen können, immer auch existent ist, haben auch die sehr wirkungsvoll inszenierten und bewegend gespielten Szenen zwischen ihnen einen faszinierenden Entfremdungseffekt.

Beide spekulieren darüber, wie und wer sie in einer ja nur wenig anderen Welt sein würden. Sie müssen ihre Pendants treffen, um sich selber und den anderen wirklich verstehen zu können, und eine der vielen schönen Ideen des Films ermöglicht dies auch. Der erste Mensch, der die andere Erde besuchen darf, wird durch ein Preisausschreiben ermittelt. Das muss einem erst einmal einfallen. So wurde wieder eine Abkürzung gefunden, durch die auf all die Genre-Konventionen von Filmen über Raumfahrten (die für die low budget Produktion viel zu teuer gewesen wären) verzichtet werden kann, und die ganze Reise wird in einem grandiosen und absolut verblüffenden Schlussbild auf den Punkt gebracht, das zugleich alles und nichts erklärt.