Gesichter wie Äpfel im Herbst

FILMDOKU Wie lange weilt die Seele der Toten in der Nähe? „About the Soul and other small things“ forscht, wie man fernab der Stadt mit dem Tod umgeht

1977 flog die Voyager-Sonde ins All. An Bord gab es Souvenirs von der Erde, die Außerdirdischen von unserer Zivilisiation berichten sollten. Unter anderem: Grüße in mehreren Menschensprachen, Zeichnungen von Leonardo da Vinci, Tonaufnahmen bellender Hunde und schreiender Babys sowie Musik von Beethoven, den Beatles und einem Lied der bulgarischen Dorfsängerin Valya Balkanska.

Das Lied machte die Sängerin nicht nur in der ehemaligen VR Bulgarien zum Star, und alle Bulgaren waren damals sehr stolz darauf, die Menschheit im All vertreten zu dürfen. Inzwischen ist das Interesse für Außerirdische in Bulgarien nicht mehr so groß, die bulgarische Volksliedkultur ist am Aussterben. In ihrem schönen, 2006 gedrehten Dokumentarfilm „Bulgarian Stories“ berichteten Elwira Niewiera und Kornel Miglus nicht nur von zumeist älteren bulgarischen Sängerinnen, sondern auch von ihrer Heirat.

Inzwischen hat die Sonde unser Planetensystem verlassen, die beiden Filmemacher sind kein Paar mehr, und Andrzej, der Freund, der auch den zweiten Film über bulgarische Lieder produzieren sollte, verstarb plötzlich. „About the Soul and other small things“, Regie führte Kornel Miglus, ist also eine Art Trauerarbeit, wobei dies Wort vielleicht zu schwer klingt für diesen eigentlich sehr entspannten Film, der davon erzählt, wie das Filmteam in die bulgarischen Berge reist, um Klagelieder für den verstorbenen Freund zu sammeln.

Die ersten Frauen, die bei der Feldarbeit sind, als sie nach Klageliedern gefragt werden, reagieren noch misstrauisch – „Wir kennen nicht solche“ – und schicken sie ins Dorf: „Dort findet ihr welche.“ Den Frauen, die sie dort treffen, ist jedoch nicht nach öffentlichem Singen zumute, weil ihre Schwägerin gerade gestorben ist. Sie sind sich uneins, ob die Seele der Verstorbenen noch 40 oder 52 Tage in der Nähe des Hauses weilt. Erst danach dürften sie wieder singen. Dann findet sich doch eine alte Frau, die ein Lied singt, das von einem jungen Mann handelt, der in einer Schlacht fiel.

Die Reise hat kein genaues Ziel, nur ein Thema – den Tod –, von dem mit einer gewissen Leichtigkeit erzählt wird. Miglus trifft auf einen islamischen Geistlichen und einen orthodoxen Priester, mit denen er für den Freund betet. Alte Frauen erzählen von Begegnungen mit dem Tod; vom verstorbenen Kind, das Botschafter schickte, um die traurige Mutter zu trösten. Eine Frau mit einer sehr starken Brille trägt ihre eigene Grabrede vor. Die Frage wird erörtert, ob man auch in den Himmel kommen kann, wenn man nicht an Gott geglaubt hat oder ob es eine Hölle gibt. „Ich kann es nicht sagen, ich habe sie nicht gesehen“, sagt ein Geistlicher, und dass man als Nichtgläubiger nie satt werden würde. Im Umgang mit dem Tod zeigt die Religion ihre Kraft. Ein alter Mann spielt Dudelsack; manche Gesichter sehen aus wie Äpfel im Herbst. Ein Kloster brennt. Die Melodie des Films ist herbstlich ohne jede Schwere. DETLEF KUHLBRODT

■ „About the Soul and other small things“. Regie: Kornel Miglus. PL/D/BG 2011, 80 min. Zu sehen im FSK und Hackesche Höfe Kino