Howard Hawks lümmelt auf dem Sofa

BILDER VOM FILMEMACHEN In der Ausstellung „Am Set. Paris – Babelsberg – Hollywood“ erzählen Standfotografien aus drei Jahrzehnten vom Glamour des Studiosystems

Charles Laughton steht staunend wie ein Kind in einem Wald riesiger Glühlampen

VON ANDREAS RESCH

In der grandiosen Comicreihe „Garfield minus Garfield“ gewinnen die Cartoons von Jim Davis, ihres herausretuschierten Protagonisten beraubt, eine völlig neue Bedeutungsebene. Plötzlich wird Garfields Besitzer Jon Arbuckle zum Protagonisten. Durch die entstandene Leerstelle offenbaren die Bilder etwas über sich selbst, das zuvor nicht wirklich erkennbar gewesen ist.

In gewisser Weise basieren viele der Fotografien, die bis zum 29. April in der phänomenalen Ausstellung „Am Set“ im Museum für Film und Fernsehen zu sehen sind, auf dem gerade in sein Gegenteil verkehrten „Garfield minus Garfield“-Prinzip. Wirken sie doch, als hätte sich der im Filmbild für gewöhnlich abwesende Regisseur, oft der eigentliche Protagonist eines Films, klammheimlich in sie hineingeschlichen. Etwa in jene Aufnahme, in der sich James Stewart und seine Filmpartnerin Jean Arthur während der Dreharbeiten zu „You Can’t Take It With You“ auf einer Parkbank anschmachten, während Regisseur Frank Capra auf einem Stuhl danebensitzt und die beiden beobachtet. Oder in ein ähnlich ulkiges Foto, auf dem Cary Grant und Rita Hayworth bei den Dreharbeiten zu „Only Angels Have Wings“ in einen Dialog verstrickt sind, derweil sich Howard Hawks mit übergeschlagenen Beinen neben Grant auf dem Sofa lümmelt. Wie ein Moment aus einem expressionistischen Film wirkt hingegen eine Fotografie, auf der Fritz Lang seiner Schauspielerin Brigitte Helm während des „Metropolis“-Drehs gestenreich Regieanweisungen gibt.

Andere Bilder heute zumeist in Vergessenheit geratener Setfotografen halten fest, wie Regisseur, Kameramann und Beleuchter die Schauspieler in Szene setzen. Und dadurch, dass sich in ihnen ein Take in einer Momentaufnahme verdichtet, potenziert sich der ikonische Charakter dieser Aufnahmen schier ins Unendliche. Auf einem Bild sieht man Joan Bennett einer antiken Statue gleich mit streng abgespreiztem Arm im Kleid neben einer Säule stehen. Solche Bilder decouvrieren nichts, sie gewähren keine intimen Einblicke, sondern treiben stattdessen die Mythisierung der Filmstars noch weiter voran.

Die von Isabelle Champion und Laurent Mannoni kuratierte Ausstellung war zwischen März und Anfang August 2010 in der Pariser Cinématèque française zu sehen und ist jetzt – ergänzt um eine Miniausstellung, die aktuelle Standfotografien aus Berlin und Babelsberg zusammenführt – weiter nach Berlin gezogen. Gezeigt werden Bilder aus den Jahren 1910 bis 1939, die bei Dreharbeiten in den USA, Frankreich und Deutschland entstanden sind. Durch die Einteilung in Kategorien wie „Kulissen“, „Licht“ oder „Kameras“ ermöglichen die Bilder, filmische Entwicklungen nachzuvollziehen. Etwa auf dem Gebiet des Bühnenbildes, wo die Trompe-l’oeil-Leinwände aus der Kinofrühzeit bald von plastischen Bühnenbildern abgelöst wurden. Darüber hinaus sind einzelne Kapitel der Ausstellung Meistern wie Murnau, Griffith, Renoir oder René Clair gewidmet. Und immer wieder meint man, etwas von der jeweiligen Setatmosphäre erspüren zu können: vom strengen Regiment D. W. Griffiths etwa, stets mit Hut und riesigem Megafon ausgestattet.

Man kann sich wahrhaftig verlieren in dieser Ausstellung, die – ergänzt um kurze Filmausschnitte, die Regisseure bei der Arbeit zeigen – unzählige Lesarten ermöglicht. Und selbst dann, wenn man den meisten Linien und Strömungen gefolgt ist, entdeckt man immer wieder Neues. Etwa eine skurrile Fotografie, auf der der Schauspieler Charles Laughton, dessen einzige Regiearbeit „The Night of the Hunter“ mit Robert Mitchum in der Hauptrolle heute zu den Klassikern zählt, staunend wie ein kleines Kind in einem Wald aus riesigen Glühlampen steht. Oder jenes Bild, auf dem Edward G. Robinson und FBI-Chef J. Edgar Hoover einander mit identischem Haarschnitt gegenüberstehen und man sich auszumalen beginnt, welch absurdes Actiongespann die beiden wohl abgegeben hätten.

■ „Am Set. Paris – Babelsberg – Hollywood. 1910–1939“. Bis 29. April 2012. Di.–So. 10–18, Do. 10–20 Uhr in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Katalog 29 Euro