REGINE KÖLPIN, OTTERNBISS
: Sprachliche Gruselstunde

Da ist die dicke Tante nicht einfach dick, nein, sie ist „nicht auf den Laufstegen dieser Welt zu Hause“

Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.

„Otternbiss“ von Regine Kölpin ist wie ein schlechter Eintopf: Es ist ganz viel drin an vielversprechenden Nordkrimi-Zutaten, Nebel, Küste, Dünen und ein Mörder, der seine Opfer, kleine blonde Jungs, mit der Suche nach funkelnden Bernsteinen an den Strand lockt. Jedoch: „Otternbiss“ schmeckt fad. Mit jedem Löffel fragt sich der Leser, was das ist, dieser Geschmack, der mal langweilt, mal kurz erschaudern lässt. Gleich vorweg: Nein, dieser Krimi ist nicht gruselig. Nicht gewollt jedenfalls.

Die Geschichte geht so: Vor acht Jahren verschwand der kleine Achim auf der Nordsee-Insel Wangerooge, er war im Schullandheim untergebracht, und eines Morgens war er plötzlich weg, entschwunden in den Seenebel. Maria, seine damalige Betreuerin und zu der Zeit erst 15 Jahre alt, fühlt sich verantwortlich und kämpft noch heute mit Gewissensbissen.

Als dann auf Wangerooge ein anderer Junge tot im Sand aufgefunden wird, beschließt sie, auf die Insel zurückzukehren, sich der Vergangenheit zu stellen – und stößt in den Dünen auf ein Skelett. Sie ist überzeugt: Es sind die Überreste von Achim und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Damit torpediert sie fast die Ermittlungen des notorisch übelgelaunten Kommissars Rothko, ohne Vornamen (Typ frustriert, menschenscheu, Kaffee-Junkie).

Das ist dann auch das erste Manko von „Otternbiss“: Die Figuren. Ihre Charaktere sind zu weiten Teilen überzeichnet, leise Töne, feine Nuancen, graue Schattierungen fehlen. Die Geschichte wirkt, als habe die Autorin versucht, möglichst viele kaputte Menschen an einen Ort zusammen zu bringen – die dann auch noch innere, vor sich hin philosophierende Monologe führen. Ebenjenen Kommissar, die höchst depressive Maria, ihren kauzigen und verkappt-schwulen Onkel, einen vereinsamten Freund Marias (seit Jahren unglücklich in sie verliebt) und den Vater des getöteten Jungen, einen geläuterten, jammerigen Alt-Casanova… Alle sind sie echt mies drauf – und selbstverständlich höchst verdächtig.

Soviel zum „Was“. Bleibt noch das „Wie“. Und eben daran krankt dieser „Otternbiss“ gewaltig: an der Sprache. Da ist die dicke Tante nicht einfach dick, nein, sie ist „nicht auf den Laufstegen dieser Welt zu Hause“. Kommissar Rothko will seine Verdächtigen nicht aufs Revier bestellen und verhören, sondern er will jedem einzelnen von ihnen „gehörig auf den Zahn fühlen“. Als in einer Rückblende geschildert wird, wie Maria das Verschwinden von Achim bemerkt, heißt es: „Ein Begreifen kriecht vom Kopf her in ihren Bauch und verursacht dort ein Brennen.“ Und in einer Liebes-Szene: „Seine Worte umspülten erst ihr Ohr, flossen anschließend weiter zu ihrer Wange, bis sie am Ende Marias gesamten Körper mit ihrer Wärme fluteten.“

Wer bei diesen geschwurbelten Sätzen in sich eine wohlige Wärme verspürt, der stecke 9,90 Euro in die Hosentasche, gehe in den Buchladen und kaufe „Otternbiss“ (und deshalb wird auch nicht der Buchtitel erklärt – wegen der Spannung). Allen anderen sei gesagt: Man kann sie sich auch sparen, diese 252 Seiten. Krimis schreiben viele, nicht nur im Norden. Aber ein Rezept im Kochbuch allein hat noch niemanden zum Chef de Cuisine gemacht.  EMILIA SMECHOWSKI

Regine Kölpin, Otternbiss, Leda-Verlag, 252 S., 9, 90 Euro