Faustschlag in der Stille

EMOTIONSRAUMGESTALTUNG Ihre Bühnen-Perücke setzt sie nicht mehr so häufig auf. Ihr Markenzeichen hat Scout Niblett aber auch längst nicht mehr nötig. Und Vergleiche mit Cat Power oder PJ Harvey auch nicht: die Britin ist selbst Referenz in Sachen umwerfende Stille

Nibletts Musik lebt nicht allein von der ungeheuren Stille und Bedächtigkeit

VON NILS SCHUHMACHER

Was sie will, das weiß Scout Niblett immer sehr früh – und sehr genau. Dass sie später einmal Musikerin werden würde etwa, das schreibt die seit über zehn Jahren in den USA lebende Engländerin schon als Siebenjährige in einen Schulaufsatz. Und weil ihr schnell klar ist, dass sie auch keine Lieder anderer spielen will, sondern eigene, verweigert sie als Neunjährige resolut ihren Blockflöten- und Klavierunterricht. Nicht zuletzt deshalb wohl ist sie ihren Grundsätzen – überwiegend minimalistische Songs und außergewöhnlich intime Live-Shows – bis heute weitgehend treu geblieben: Wenn Scout Niblett auf die Bühne kommt, findet man dort neben ihrer Gitarre auch nach gut zehn Jahren immer noch keine ganze Band, sondern nur „Aushilfsschlagzeuger“ (Spex) Kristian Goddard vor. Eins aber hat sich im Verlauf der Jahre dann doch geändert: ihre charakteristische blonde Bühnen-Wuschel-Perücke, die trägt sie nicht mehr so häufig.

Auf ihr „Markenzeichen“ kann die studierte Künstlerin mit dem Astrologie-Tick aber auch längst getrost verzichten: Auf fünf im Laufe der letzten gut zehn Jahre entstandene Alben kann die 38-Jährige mittlerweile zurückschauen: Verschroben-verstimmt und äußerst minimalistisch kommt 2001 ihr Debüt „Sweet Heart Fever“ daher, vergleichsweise opulent – zum Teil mit Band und Gastmusikern eingespielte – fällt hingegen 2007 „This Fool can die now“ aus. Vor zwei Jahren dann besinnt sich Niblett mit dem erneut weitgehend spartanisch ausfallenden und umwerfend stillen Album „The Calcination of Scoutt Niblett“ wieder auf die Wurzeln – und begeistert sowohl die Kritik als auch ihre kleine, aber treue globale Fangemeinde.

Deren Aufmerksamkeit hat dabei möglicherweise auch damit zu tun, dass ihr seit der zweiten Platte mit Toningenieur-Legende Steve Albini, unter anderem ehemaliger Produzent der Pixies und Nirvanas, ein ausgewiesener Experte für einen ebenso trockenen wie intensiven Sound zur Seite steht, vielleicht auch mit den schönen Duetten, die Niblett auf „This Fool Can Die Now“ mit der kauzigen Singer/Songwriter-Ikone Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy eingesungen hat. Aber all diesen gern erwähnten Referenzen zum Trotz: Niblett empfiehlt sich als absolut eigenständige Referenz in Sachen musikalischer Emotionsraumgestaltung – Vergleiche mit Cat Power einerseits, PJ Harvey andererseits gelten allenfalls als grobe Orientierungsmarken in Sachen Intensität.

Denn Nibletts Stimme hat im Gegensatz zu den Genannten mitunter ein besonderes exzentrisches Moment, etwas leicht Gequält-Weinerliches, das an eine tiefer gestimmte Version der frühen Joanna Newsom denken lässt. Bevor das allerdings als aufdringlich empfunden werden kann, verfliegt dieses Moment auch wieder auf wundersame Weise. Genau dann nämlich, wenn die Stimme anhebt und beginnt, mit plötzlich großer Leichtigkeit über der kargen Landschaft aus Gitarre und Schlagzeug zu schweben.

Die Musik wiederum lebt nicht allein von der ungeheuren Stille und Bedächtigkeit – Stichwort: unterwegs in einem baumlosen Gebirge –, sondern, vor allem live, vom faustschlagartigen Umschlagen von fast nichts in grungehaften Lärm – oder genauer: vom introspektiven Singersongwritertum ins Expressiv-Lautstarke.

■ Hamburg: Di, 10. 1., 21.30 Uhr, Hafenklang, Große Elbstraße 84