Energie für alle

IMPROVISATION Das Jazzkollektiv Berlin beging die fünfte Ausgabe seiner „Kollektiv Nights“ im HBC hochkarätig besetzt und komplett ohne Förderung

Gemeinsam ist man eben doch stärker. Das gilt auch für den Jazz, wie das vor gut vier Jahren gegründete Jazzkollektiv Berlin demonstriert. Dessen sieben Bandleader und Komponisten veranstalteten jetzt zum fünften Mal die „Kollektiv Nights“, in denen sie eigene Projekte und befreundete Musiker vorstellen. Von deren Ideenreichtum und Vielseitigkeit konnte man sich von Montag bis Mittwoch im HBC überzeugen.

Wären sie kein Kollektiv, hätte dieses Festival vermutlich überhaupt nicht stattgefunden: Für die „Kollektiv Nights“ gab es diesmal keinerlei finanzielle Unterstützung von außen. Das erfordert schon einiges an Leidenschaft und Idealismus der Beteiligten. Klagen waren von der Bühne dennoch keine zu vernehmen, man war schließlich zum Musizieren gekommen.

Der Montag stand noch ganz im Zeichen traditioneller Quartett-Formationen. So spielte der Saxofonist und Kollektivist Felix Wahnschaffe mit seiner Band „Das rosa Rauschen“ in der klassischen Besetzung Saxofon, Klavier, Bass und Schlagzeug. Herkömmlichen Jazz bot man zwar nicht dar, melodisch und lyrisch ging es aber durchaus zu, selbst wenn die zarten Ansätze stets konterkariert wurden und Schlagzeuger Eric Schaefer etwa mit seinen kurzen Eruptionen die zarteren Momente des Bandleaders Wahnschaffe regelrecht zerschnitt. Irgendwie wurde das Ganze trotzdem auf wundersame Weise zusammengehalten, nicht zuletzt durch den muskulös-differenzierten Bass des Dänen Andi Lang.

Kompakter zeigten sich „Die Hochstapler“ mit dem „Braxtonette“-Projekt des französischen Saxofonisten Pierre Borel, der Kompositionen der Avantgarde-Jazzmusiker Anthony Braxton und Ornette Coleman zu einer dichten Suite kombinierte. Hier wurde viel nach Noten gespielt, dies aber so energisch, dass von akademischer Strenge nichts zu spüren war.

Die vier Musiker agierten weitgehend als homogene Einheit, in der für egobetontes Solieren wenig Raum blieb. Besonders der Improvisationsmusiker Hannes Lingens stellte sein flächiges Hochgeschwindigkeitsspiel am Schlagzeug ganz in den Dienst der Sache, für die es am Ende aufbrausenden Applaus gab.

Den gab es auch für Trompeter Axel Dörner, neben Borel ebenfalls als Gast geladen. Dörner, der sich um die Erweiterung der Klangmöglichkeiten seines Instruments verdient gemacht hat und oft mit elektronischen Mitteln arbeitet, zeigte sich in seinem Quartett „Die Anreicherung“ von fast konventioneller Seite. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, in seinen Soli Geräusche zu erzeugen, die mal an ein tief blubberndes Didgeridoo, mal an surrende Haushaltsgeräte erinnerten. Für das nötige Spannungsfeld sorgten der diskret virtuose Bassist Jan Roder und der wie unter Starkstrom pulsierende Schlagzeuger Christian Lillinger.

Tags darauf wurde die Spannung sogar noch ein wenig erhöht. Komponist und Posaunist Johannes Lauer, der die Konventionen des Jazz gern ein paar Windungen weiterdenkt, führte das Publikum mit seiner Band Morf in einen Versuchsraum, in dem Rhythmen und Klänge sich scheinbar selbst überlassen sind und sparsame Töne zu tribalistischem Getrommel mit allmählichen Verschiebungen einen hypnotischen Sog erzeugen, nicht zuletzt dank der Perkussionistin Laura Robles aus Peru, der einzigen Frau im gesamten Festivalprogramm.

Nahezu unerschöpflich sind auch die Ideen von Lauers Posaunistenkollegen Gerhard Gschlössl, der als „Uraufführung“ im Trio mit Saxofon und Schlagzeug rhythmisch und melodisch Vertrackt-Komplexes irgendwie sogar zum Swingen brachte.

Und der kontrolliert impulsive Saxofonist Wanja Slavin bewies mit seinem Sextett, dass Free Jazz, Fusion und abstrakte Elektronik sehr lebendig zusammen bestehen können.

TIM CASPAR BOEHME