Mr. Liebe & Gerechtigkeit

PROTESTMUSIKER Seit 30 Jahren reist der linke britische Singer/Songwriter Billy Bragg als eigentümliche Mischung zwischen Pop und Folk, Liebeslied und Sozialismus von Bühnen zu Manifestationen und zurück. Jetzt lässt er sein Schaffen Revue passieren

Politik und Kunst lagen und liegen bei Billy Bragg immer eng beieinander

VON NILS SCHUHMACHER

Wie hat man Billy Bragg nicht schon genannt? Wenig verbreitet ist: „kleine billige, höchst bewegliche Entität“, etwas bekannter schon: „One Man Clash“. Beide Beschreibungen stammen aus den frühen 1980er Jahren und mag die eine auf den ersten Blick böse, die andere hingegen freundlich klingen: sie charakterisieren gemeinsam auf unterschiedliche Weise diesen Mann, der seit nun 30 Jahren als eigentümliche Mischung zwischen Pop und Folk, und zwischen Liebeslied und Sozialismus von Bühnen zu Manifestationen und zurück reist.

Braggs Solokarriere begann 1983 mit „Life’s A Riot With Spy Vs. Spy“. Mehrere Einflüsse trafen auf dieser Platte unvermittelt zusammen. Auf der einen Seite Elvis Costello-artiger Rock, angereichert durch die politisierte Wut des Punk, mit der sich der ehemalige Pubrocker aus der Londoner Arbeiterklasse beim Besuch eines Clash-Konzerts infiziert hatte. Auf der anderen Seite die vergleichsweise stille Tradition des US-amerikanischen Protest-Folks, den vor allem Woody Guthrie und Pete Seeger repräsentierten. Bragg wirkte auf den folgenden Veröffentlichungen mit seiner angezerrten Western-Gitarre genau genommen mal wie ein Punk-Gitarrist, der erfreut feststellt, dass ihm die lästig-lärmende Band abhanden gekommen ist. In anderen Momenten entpuppte er sich als spitzbübisch-jugendhafter Singer-/Songwriter, der für allgemeine soziale Probleme passende Parolen fand, gleichzeitig aber auch auf rührend-intime Weise die Spezialfälle der Liebe, Trauer und Sehnsucht durchdeklinieren konnte.

Überhaupt lagen und liegen Politik und Kunst bei Billy Bragg immer eng beieinander. Bereits früh legte er sich mit der Musikindustrie und ihrer Preispolitik an. Insbesondere der 1984/85 mit großer Zähigkeit über ein Jahr geführte britische Bergarbeiterstreik mit seinen 10.000 Verhafteten und 14 Toten, der schließlich mit dem Sieg der Thatcher-Regierung endete, trug dann zu einer nachhaltigen Politisierung bei. Einige Jahre später gehörte er zu den Mitbegründern der Künstlervereinigung „Red Wegde“, die sich für die Wahl der Labour-Partei (und vor allem die Abwahl Thatchers) einsetzte. Mit Tony Blairs „New Labour“ entfremdete sich Bragg schließlich stark von der Partei und bezog sich wieder stärker auf linke Basisbewegungen, als deren sympathisierend-kritischer Begleiter er heute auftritt.

Auch musikalisch hat der einst junge Mann mit dem leisen Zorn im Laufe der Jahre, und nicht immer zur Freude des ganz puristischen Teils seiner Anhängerschaft, sein Spektrum erweitert. Die charakteristische, zwischen Punk und Lagerfeuer angesiedelte Gitarre wurde in die Blokes eingemeindet, die als Begleitband seit Anfang der 1990er Jahre auch die Platten instrumentieren. Parallel dazu kam es zu einer Reihe von Kooperationen, unter anderem mit Johnny Marr (The Smiths), Kate Nash und der US-amerikanischen Alternative Rock-Band Wilco. Mit Letzterer arbeitet Bragg seit 1998 an Neuinterpretationen und Vertonungen unveröffentlichter Lieder von Woody Guthrie, von denen der letzte Teil „Mermaid Avenue III“ unlängst veröffentlicht wurde.

„Puristen“ haben aber zumindest auch registriert: das letzte reguläre Album, das 2008 erschienene „Mr Love & Justice“, wartet sowohl mit Band- als auch mit Soloversionen der Lieder auf (wobei letztere wohl etwas stärker sind). Und das letzte Album von 2011, „Fight Songs“, stellt eine Sammlung von alten und neuen, in der Mehrzahl unveröffentlichten Protestliedern dar, deren erfreuliche Kernbotschaft eben auch lautet: die „glass-half-full person“ (Billy Bragg über Billy Bragg) denkt vorerst nicht an das Ende der Kunst und Utopien. Am Freitag und Samstag singt er in Hamburg und Hannover.

■ Hamburg: Fr, 18. 5., 20 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36; Hannover: Sa, 19. 5., 20 Uhr, Faust, Zur Bettfedernfabrik 3