WOCHENENDE MIT WOLKENWAND
: Prostatauntersuchungen dauern fünf Sekunden, nicht fünf Minuten

VON RENÉ HAMANN

Es war erstaunlich leer in diesem Kinosaal am Freitagabend. Lag es am Regen? Daran, dass der Saal des Passagen-Kinos großzügig, die Bildfläche aber eher auf neuem Wohnzimmer-Flachbildschirm-Niveau lag? Oder lag es am Ende doch am Film? Denn nach und nach verschwanden auch die, die sich still reingesetzt hatten in die Reihen. Das war alles zu merkwürdig, diese angeschrägten Dialoge, das leicht Verschobene des gesamten Settings; ich glaube, ich war der Einzige, der richtig Gefallen fand an „Cosmopolis“, dem neuen Cronenberg nach dem Roman von Don DeLillo, den ich auch gerade zu lesen versuche. Allein diese Ehedialoge!

Ionesco für Arme, meinte dann aber meine von dem Film eher genervte Freundin später im Circus Lemke, der eine Bar ist und kein Zirkus und angeblich bereits seit „MMIX“ existiert. Geplantes Aneinandervorbeireden, ausgedachte Sentenzen, die im normalen Leben nichts als albern und prätentiös sind, und die Szene mit der Prostatauntersuchung – gut, das sage jetzt ich – ist auch zu lang. Prostatauntersuchung kenne ich. Die dauert meistens nicht länger als fünf Sekunden. Aber währenddessen einen Flirt zu platzieren, einen Flirt in der Stretchlimousine, während draußen das Leben tobt, das ist schon eine gute Idee. Überhaupt ist der Film voller guter Ideen – und trotzdem leider nicht geil. Meistens ist alles etwas zu viel des Guten, und die Parade von Protagonisten erinnert auch eher an amerikanisches Theater aus den 50er Jahren.

Das Lemke jedenfalls ist eine neue kleine Bar im Schillerkiez, mit Atmosphäre, friedlichen jungen Leuten kurz vorm „Master“, einem Schallplattenspieler und aufmerksamer Theke. Dieser Satz könnte so auch bei Qype stehen, aber was soll man machen. Die Geschichten ergeben sich später.

Ebenfalls im Schillerkiez befindet sich das Café Engels – in das wir am nächsten Nachmittag springen, nachdem wir eigentlich auf dem Tempelhofer Flugfeld eine Runde drehen wollten, dann aber von einer gewaltigen dunkelgrauen Wolkenwand verschreckt wurden. In diesem Sommer muss man ja mit allem rechnen – auch damit, dass Harald Martenstein im Tagesspiegel über Hitzeperioden schreibt, die zum Klimawandel gehören. Entweder hat der gute Mann einen Sonnenstich, seinen Text schon seit sechs Jahren in der Schublade liegen oder mal wieder von der Toskana auf Restdeutschland geschlossen. Aber klar, man muss auch nicht alles verstehen. Und manchmal, siehe „Cosmopolis“, kann absichtliche Verwirrung auch ganz unterhaltsam sein. Das Café Engels jedenfalls wartet zwar mit einer Philosophenbüste auf, ist aber keine genuin linke Kneipe. Sondern eher so ein versetztes Stück Prenzlauer Berg. Mit ähnlichem Publikum wie das Café Wohnzimmer um die Jahrtausendwende. Es gibt einfach zu viele Menschen, die aussehen wie andere.

Das Monsieur Vuong des nördlichen Neukölln wie des Gräfekiezes ist ja das Hamy Cafe auf der Hasenheide (der Straße, nicht dem Park). Hier herrscht lustiger Durchlauf; Abfertigung auf hohem Niveau; man kommt gar nicht zum Lesen, denn das Essen ist eher da, als man es bestellt hat, und auf die Plätze auf der Bierbank gegenüber haben sich jetzt zwei ältere Studentinnen gesetzt, die über Probleme mit Haustieren sprechen. Nämlich eine Blondine mit langer Nase, die wie zum Ausgleich beim Reden mit ihren unbearbeiteten Augenbrauen arbeitet, durchaus variantenreich, und eine bekümmert wirkende Brünette mit blasser Haut. Frauen aus Porzellan, Frauen als Kaninchen. „Ihr Hund stirbt. Da will ich bei ihr sein.“ Selbstredend ist das Essen trotzdem gut.