Mein Sohn soll Adolf heißen

BOURGEOISIE Mit „Der Vorname“ haben Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patelliere ihr eigenes Theaterstück verfilmt. Darin gehen ein paar alte Freunde aufeinander los

Man merkt dem Film an, dass er auf einem Theaterstück basiert und wenn die beiden Autoren und Regisseure dies kaschieren wollen, wird ihre Regie unsicher

VON WILFRIED HIPPEN

In Frankreich stellt das Bildungsbürgertum noch was dar. Der Lebensstil der Bourgeoisie wird immer noch von den einen gepflegt sowie von den anderen gehasst und die Elite ist stolz auf die Kultur der Grande Nation: die Philosophie, die Literatur, die Sprache, das Essen, der Wein, die Antiquitäten, die Umgangsformen und, jawohl, auch das Kino. So hatten etwa die Filme von Claude Chabrol im Grunde nur ein alles überragendes Thema: die Hassliebe zum bürgerlichen Lebensstil, dem er selber natürlich hemmungslos frönte. Er stellt ihn zugleich aus und entlarvte ihn, und dieses Stilmittels bedienen sich auch Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patelliere in „Le prénom“. Ein Abend unter guten Freunden wird da in den ersten Minuten so langatmig vorgeführt, dass man bald kurz davor ist, die Geduld mit dem Film und seinen selbstzufriedenen Figuren zu verlieren. Erschöpfend werden wir darüber informiert, welche Strickjacke die Lehrerin Élisabeth bei ihrer Arbeit trägt, welche akademischen und gesellschaftlichen Meriten ihr Mann, der Literaturprofessor Pierre errungen hat, wie teuer der Wein ist, den Élisabeths Bruder Vincent zum Abendessen mitgebracht hat und welches Musikstück Claude, der alte Vertraute von allen, an diesem Abend auf seiner Posaune im philharmonischen Orchester gespielt hat. Die fünf wirken bestenfalls einschläfernd in ihrer guten Laune, aber Murat weiß genau, wie lange er seinem Publikum diese vermeintlich heile Welt zumuten kann.

Bald merkt man, wie geschickt er mit der Fallhöhe arbeitet, denn das Couscous wird schließlich nicht gegessen, sondern geworfen. Und jedes zuerst in aller Unschuld erwähnte Detail wird im Laufe des Abends noch gegen den Redner verwendet werden. Doch zuerst freuen sich alle gemeinsam noch darüber, dass Vincent bald Vater wird: Wie denn der Sohn heißen soll? Ratet mal, ein Name, der mit A anfängt! Auch hier wird noch lange, sozusagen in Abendessen-Echtzeit, um den heißen Grießbrei herumgerätselt, doch dabei mit raffinierten Verzögerungen die Neugier des Publikums gekitzelt. Und die Erwartungen werden nicht enttäuscht, denn mit kaum etwas anderem kann man satte französische Intellektuelle aus ihrer Idylle reisen wie mit der Ankündigung, dass einer von ihnen sein Kind Adolf nennen will.

Dieser Tabubruch schreckt alle auf und der Frieden ist dahin. Auch nachdem Vincent zugibt, das alles nur ein Scherz war, ist damit nichts gerettet, denn die inzwischen eingetroffene Mutter seines Kindes kann darüber gar nicht lachen und in der Hitze des Streits werden Dinge gesagt, die neue Fronten entstehen lassen. Bald schreien sich die alten Freunde an die Köpfe, was sie wirklich voneinander halten, und dabei kommt keiner ungeschoren davon.

Delaporte und Patelliere hatten mit „Der Vorname“ schon auf den französischen Bühnen einen riesigen Erfolg, und man merkt dem Film an, dass er auf einem Theaterstück basiert. Denn gerade wenn die beiden Autoren und Regisseure kaschieren wollen, dass das Wohnzimmer im Grunde der einzige Spielort ist, wird ihre Regie unsicher und die kurzen Ausreißer der Kamera am Anfang, am Schluss und in einer Rückblende wirken wie überflüssige Anhängsel. Und wenn beim Finale bei der Geburt alle glücklich auf das Neugeborene blicken, ist schon fast vergessen, welcher Name ihm beinahe geblüht hätte.

Die enttäuschend harmlose Auflösung mag Stück und Film an den Kinokasse eher nutzen als schaden (in Frankreich war der Film einer der größten Erfolge dieses Jahres), aber spätestens durch sie wird deutlich, dass „Der Vorname“ – anders als seine Vorbilder – nur besseres Boulevard bietet. Denn die Komödie ist natürlich nach dem Erfolgsrezept der Stücke von Yasmina Reza zusammengesetzt worden. Doch dort wird deutlich radikaler am Lack der feinen Gesellschaft gekratzt. Im Vergleich mit Polanskis Adaption von Rezas „Der Gott des Gemetzels“ bleibt dies ein eher bürgerliches Vergnügen.