Der Mississippi in Brandenburg

FLUSSFAHRT In „Die Abenteuer des Huck Finn“ versucht Hermine Huntgeburth aus dem Roman von Mark Twain einen Kinderfilm zu machen, ohne ihn dabei zu sehr zu verniedlichen

VON WILFRIED HIPPEN

Ja, das schlimme N-Wort wird gleich mehrfach gebraucht, und dies obwohl es 2011 in der neuen, amerikanischen Ausgabe von „The Adventures of Huckleberry Finn“ politisch korrekt, aber literarisch eher unbefriedigend durch „Slave“ ersetzt wurde. Hermine Huntgeburth und ihr Drehbuchautor Sascha Arango wollen die Fortsetzung ihres erfolgreichen Kinderfilms „Tom Sawyer“ vom letzten Jahr nicht zu sehr verniedlichen, und das ist ihnen hoch anzurechnen.

Aber dadurch entsteht zum Teil ein merkwürdiges Gefälle zwischen einzelnen Elementen der Dramaturgie. Mark Twain hat mit „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ eben kein Kinderbuch geschrieben. Hemingways oft gebrauchtes Zitat, „alle moderne amerikanische Literatur kommt von ihm“, hat ja vieles für sich. Rolf Vollmann schreibt in seinem „Roman-Verführer“, in ihm sei „ja wirklich die Literatur das Land der Freiheit, und des erzählten Glücks“.

Hier geht es nicht mehr um das Streichen von Gartenzäunen, sondern um Sklaverei, Menschenwürde und um eine Flucht in die Freiheit. Und in einigen Szenen dürfte der Film durchaus verstörend für kleinere Kinder sein, wenn etwa der Sklave Jim von Miss Watson wie ihr Eigentum behandelt wird, oder wenn er später erleben muss, wie seine Frau und sein Kind von Sklavenhändlern zum Verkauf angeboten werden. Auf dieser Ebene versuchen Regisseurin und Autor, der literarischen Vorlage gerecht zu werden. Jacky Ido, dem deutschen Publikum aus „Die weiße Massai“, aber auch aus „Inglourious Basterds“ bekannt, legt den Jim so gutmütig und verletzlich an, dass zumindest eine Weile lang er der eigentlich Held des Films ist. Seine Motive für die Flucht aus der Sklaverei auf den Mississippi scheinen viel dringender als jene des rebellischen kleinen Huckleberry Finn, der von der Witwe Douglas und Miss Watson zu einem braven Jungen erzogen werden soll, der zur Schule geht und sich ordentlich benimmt. Durch den Schatzfund in „Tom Sawyer“ ist er reich, aber auch dies sieht er als eine weitere Fessel an.

Dieser Erzählstrang wird schnell zu einer von jenen Abenteuergeschichten, die Kinder lieben, für Erwachsene aber etwas schlicht gestrickt ist. Hucks brutaler, geldgieriger und alkoholsüchtiger Vater taucht im Ort auf und setzt seinen Sohn unter Druck, weil er an dessen Geld will. Vor ihm flüchtet Huck auf eine Insel im Mississippi, wo er auf Jim trifft, und beide machen sich auf eine Floßfahrt zu dem Sehnsuchtsort mit dem schönen Namen Cairo auf, der beiden die Freiheit verheißt. Auch Huck braucht eine Zeit, um zu begreifen, dass Jim niemandem gehört, sondern ein freier Mensch wie er selber ist, und diese Sequenzen inszeniert Hermine Huntgeburth mit einer durchaus erwachsenen Sensibilität.

Reines Kinderkino macht sie dagegen, wenn es um die Schurken geht. Für die drei Sklavenjäger sowie die betrügerischen Gaukler König und Herzog scheint eher der Räuber Hotzenplotz als die Figuren von Mark Twain Modell gestanden zu haben. Sie sind allesamt tumbe, finster blickende Gesellen, die sich ewig selber ein Bein stellen, auch schon mal in den eigenen Fuß schießen und alles falsch machen, so dass ein junges Publikum sich ihnen überlegen fühlen kann und eher über sie lacht als sie fürchtet.

Mit Henry Hübchen, Michael Gwisdeck, Kurt Krömer, Milan Peschel und Andreas Schmidt tritt hier eine beachtliche Riege von Charakterdarstellern aus den eher östlichen Landesteilen an, die viel Spaß daran haben, sich als komische Watschenmänner austoben zu dürfen. August Diel (der unter einem langen dunklen Bart und zotteligem Haar kaum zu erkennen ist) spielt dagegen den alten Finn eindrucksvoll als einen verschlagenen Bösewicht, der Huck immer auf der Spur bleibt.

Anders als bei Mark Twain, der ihn viel früher am Suff verenden lässt, ist er bis zum Finale derjenige, der die Flucht spannend macht. Geändert wurde auch das Ende mit einer typischen Autor-im-Film-Pointe, bei der Twain selber auftritt, auf einem Postboot eine Wunde von Jim behandelt und sich dabei von Huck die ganz Geschichte erzählen lässt.

Leon Seidel hat in der Titelrolle nichts Rebellisches oder gar Aufsässiges an sich, sondern bleibt immer ein netter kleiner Junge. Kaum ein Erwachsener hätte sich Huckleberry Finn so vorgestellt, aber er spielte die Rolle schon im ersten Film und Kinder identifizieren sich schnell mit ihm. Wie schon „Tom Sawyer“, wurde auch dieser Film sozusagen vor der Haustür gedreht. Für die Außenaufnahmen wurden Seen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie die Donau in Rumänien als der Mississippi hergerichtet. Aber da hier der Fluss im Grunde die dritte Hauptrolle spielt, fällt nun viel deutlicher auf, dass da meist nur ein paar Quadratmeter Wasser zu sehen sind. Es gibt ein paar Totalen vom großen Fluss mit Dampfer aus dem Computer, aber im Grunde wirkt es immer so, als würden Huck und Tom auf der Havel herumschippern.

Ein weiteres Detail des Films wird übrigens Kinder erfreuen und Pädagogen empören: Zu den Freuden der Freiheit, die Huck nach seiner Flucht sichtlich genießt, gehört neben dem Faulenzen auch das Rauchen von Tabak aus einer schönen, kleinen Maispfeife. Ist das nicht noch viel schlimmer als das N-Wort ?