Sorgsam distanziert

FOTOGRAFIE Für seine Abschlussarbeit „spuren.“ besuchte Kolja Warnecke sechs Monate lang eine Zufallsbekanntschaft. Nun wurde seine Arbeit von der Jury des Nachwuchsförderungsprojekts „Gute Aussichten – junge deutsche Fotografie“ ausgewählt

Kolja Warnecke fotografiert analog. Mit einer Hochformatkamera, mit der das Foto zehn Euro kostet und man überlegen muss: Will man wirklich auf den Auslöser drücken? Und mit einer kleinen Kamera für Schnappschüsse, wenn die Arbeit stockt und man im Fluss bleiben will. „Du hast ja eine visuelle Vorstellung im Kopf, wie ein Bild werden soll, was wiederum das nächste Bild beeinflusst“, sagt er. Und: „Fotografieren, sofort auf das Display schauen, ‚Hab ich! Erledigt!‘ ausrufen – also, so arbeite ich nicht.“

Von dieser Sorgsamkeit, dieser Ruhe, aber auch dem Vertrauen, dass das, was er fotografisch sieht, sich genauso auf dem Abzug wiederfinden wird, erzählt seine knapp 50-teilige Fotoarbeit „spuren.“. Es ist seine Abschlussarbeit für sein Studium Kommunikationsdesign an der Hamburger HAW – und sie wurde von der Jury des Wettbewerbes „Gute Aussichten – junge deutsche Fotografie“ zu den zehn besten Abschlussarbeiten 2014 erwählt. Nun ist sie im Hamburger „Haus der Fotografie“ zu sehen.

Fotografiert hat Warnecke eine Frau. In ihrer Küche, im Schlafzimmer. Wie sie auf dem Bett liegt, wie sie vor ihrem Wohnhaus steht. Wie sie ihre Hausratten liebkost und herzt und streichelt. Die Frau ist nicht das, was man landläufig schön nennt. Oder interessant oder spannend. Was sich beim Betrachten dann langsam ändert. Ganz langsam. Aber eben ändert.

Manchmal kommt Kolja Warnecke ihr mit seiner Kamera auch körperlich sehr nahe. Dann sieht man rote Flecken auf ihrer Haut; Kratzer, kleine Wunden. „Das sind keine Bilder, die man sich an die Wand hängt“, sagt er. Und er verweist auf die Gnade des Fotobuchs, bei dem das Umblättern der Seite und damit das Zudecken des Bildes dem Betrachter seinen eigenen Rhythmus beim Betrachten erlaubt. Er sagt: „Es sind Bilder entstanden, die ich nie zeigen würde.“

Getroffen hat er die Frau während seiner Fotoarbeit „Nightlife e. V.“, die ihn in einen Swingerclub führte. „Ich fand, sie hatte etwas Besonderes, etwas Mystisches, das mir aufgefallen war.“ Und als er ein Thema für seine Abschlussarbeit überlegte, rief er sie an und sie trafen sich. „Ich habe gesagt, was ich wollte und dass es mir um eine Fotoarbeit ging. Und sie hat eingewilligt.“ Sie bekam Besuch, er bekam Fotos. In der Regel trafen sie sich zweimal die Woche. Gingen spazieren, saßen bei ihr in der Wohnung. Was ihn anfangs irritierte: „Sie war überhaupt nicht an Ergebnissen interessiert. Wenn ich kam, hat sie nie nach den Fotos vom letzten Mal gefragt.“

Nicht immer ist es ihm leichtgefallen, die Distanz zu wahren. Sich abzugrenzen und nicht noch einen Kaffee zu trinken und noch einen, sondern aufzubrechen und zu gehen, so wie er es sich vorgenommen hatte. Dann ist das Projekt zu Ende. Warnecke gibt ihr alle Fotos und reist für zwei Monate für ein neues Fotoprojekt in die USA. Als er sie dann das erste Mal wieder besucht, ist er überrascht: „Die Wohnung war renoviert, sie hatte einen Freund und zwei ihrer Ratten waren gestorben – was einerseits schlimm war, andererseits gehört auch so etwas dazu, wenn es etwas Neues beginnt.“ Nun schaut Warnecke sehr zufrieden auf seine Arbeit. Das letzte Bild ist ein optimistisches: Die Frau schaut in die Kamera – und da ist klar und deutlich ein leichtes, ein sicheres Lächeln.  FRANK KEIL

■ „Gute Aussichten“: Do, 22. 1. bis 8. 3., Haus der Fotografie, Deichtorhallen. www.kolja-warnecke.de