Hasstiraden der Tifosi

ITALIEN Mario Balotelli wird in Italiens Serie A regelmäßig rassistisch beleidigt. Dass er jetzt Schlagzeilen schreibt, ist einem Gast geschuldet

PALERMO taz | Es geschah zur besten Sendezeit. Juventus Turin und Inter Mailand trugen das Derby d’Italia aus. Zwar wollten nur etwa 25.000 zahlende Zuschauer die Partie sehen. Aber Millionen Italiener waren per TV zugeschaltet. Sie sahen, wie Mario Balotelli erst äußerst knapp das Tor verfehlte, danach einen Ball versenkte, sich zwischendrin mit Gegenspielern stritt und mehrfach das Publikum zur Ruhe aufforderte. Wer Ohren hatte, konnte in den Redepausen der Kommentatoren Sprechchöre vernehmen, die den 18-jährigen Inter-Stürmer wegen seiner Hautfarbe beleidigten. Die Sky-Kommentatoren gingen auf diese rassistischen Äußerungen nicht ein. Schiedsrichter Farina nahm sie nicht zum Anlass einer Spielunterbrechung.

Zum Skandal wurden die an Balotelli gerichteten Beleidigungen erst, als der Sportrichter Tosel ein Verfahren wegen rassistischen Verhaltens einleitete. Er bestrafte den untätig gebliebenen Stadionhausherrn Juventus zu einem Spiel ohne Zuschauer. Tosel stellte fest, dass die Juve-Fans sich zehnmal, also alle siebeneinhalb Minuten verbal an Balotelli vergangen hatten. Trainer Mourinho nahm seinen Spieler eine Viertelstunde vor Schluss vom Platz, um ihn vor den zunehmenden Angriffen der Juve-Spieler zu schützen – diese regten sich über provozierendes Benehmen Balotellis auf. Die Sprechchöre allerdings, die den jungen Mann außer sich brachten, waren für sie kein Thema.

Vielleicht haben sie diese Art Sprechchöre als akustischen Hintergrund ihrer Berufsausübung zu verdrängen gelernt. In der vergangenen Saison hatten ihre Fans bei Spielen gegen Inter schon Ibrahimovic wegen der Herkunft von dessen Eltern sowie Vieira wegen dessen Hautfarbe attackiert. Letzterer konstatierte im vergangenen Dezember: „Für einen farbigen Fußballer ist es in Italien schwerer als in anderen Ländern, weil man hier häufiger angegriffen wird.“ Vieiras Landsmann Thuram, insgesamt zehn Jahre in der Serie A aktiv, berichtete ebenfalls mehrfach von rassistischen Verbalattacken von Fans wie Gegenspielern. In der letzten Saison hat sich der Rumäne Adrian Mutu in Parma als „dreckiger Zigeuner“ beschimpfen lassen müssen. Gegen Balotelli waren schon Fans des AS Rom, des AC Florenz und des FC Udinese ausfällig geworden.

Die Liste der Beleidigungen ist lang. Eine Statistik der Spielzeiten 2005/06 und 2006/07 zählte 134 Fälle. Die wenigsten nur werden publik. Dass der Fall des Mario Balotelli einen Tag lang die Titelseiten bestimmte, hat auch damit zu tun, dass es sich bei ihm um einen zukünftigen Spieler der italienischen Nationalmannschaft handelt.

Er ist als Sohn ghanaischer Eltern in Palermo geboren und bei italienischen Pflegeeltern in Brescia aufgewachsen. Er spricht den harten norditalienischen Dialekt, mit dem sich seine Stiefbrüder und Schulkameraden unterhalten. Balotelli ist, wie es die Ministerin für Jugend, Giorgia Meloni, formulierte, „zehnmal mehr Italiener als die, die ihn beleidigt haben“. Das gegenwärtige Aufsehen ist nicht zuletzt durch die Anwesenheit von Michel Platini verursacht. Der Uefa-Präsident sondiert die Bedingungen für das Champions-League-Finale im Mai in Rom. Er setzt sich energisch gegen Rassismus ein. Weil Italien zumindest gegenüber den Mächtigen ein zuvorkommender Gastgeber sein will, wird jetzt rhetorisch eine konsequente antirassistische Linie verfolgt. Balotelli und Vieira konnen nur hoffen, dass Platini oft nach Italien kommt und immer ein schönes Druckmittel in der Hand hält. TOM MUSTROPH