Steigt Hertha ab?

FUSSBALL-BUNDESLIGA Durch das 2:5-Debakel am Samstag in München haben die Berliner ihren letzten Tabellenplatz gefestigt: Mit gerade mal 6 Punkten aus 17 Spielen geht das Team in die Winterpause. Die Berliner sind nicht mehr zu retten – oder doch?

■  Das letzte Spiel: Für die Hertha war es ein bitterer Abschluss der Hinrunde: Vor 69.000 Zuschauern verloren die Berliner auswärts gegen Bayern München mit 2:5 (0:3). Die Münchner Daniel van Buyten (16.), Mario Gomez (31.), Arjen Robben (33.), Thomas Müller (60.) und Ivica Olic (77.) durften sich feiern lassen. Beim ersten Berliner Treffer lenkte Demichelis einen Ball von Ramos ins eigene Tor (71.). Raffael (90.) schaffte das dann ohne Münchner Hilfe.

■ Der Stand der Dinge: Hertha hat 6 Punkte geholt und steht am Tabellenende. Bochum auf Platz 15 – dem ersten sicheren Nichtabstiegsplatz – hat 16 Punkte. Die Rückrunde beginnt für Hertha am 16. Januar in Hannover.

■ Die Verstärkung: Hertha hat den Georgier Lewan Kobiaschwili von Schalke 04 für die Rückrunde geholt. Der Linksverteidiger ist nach dem Griechen Theofanis Gekas der zweite Hertha-Neuzugang für die zweite Saisonhälfte.

PRO

Es ist der 8. Mai 2010. Das Berliner Olympiastadion ist ausverkauft. Als der Schiedsrichter abpfeift, jubeln 60.000 Zuschauer. Es ist amtlich: Der FC Bayern München wird zum 22. Mal Deutscher Meister. Das Endergebnis (3:3) interessiert keinen mehr.

Die Hertha-Profis verabschieden sich hingegen kleinlaut von ihren wenigen verbliebenen Fans und von der 1. Liga. Dass es so kommen würde, ist seit Wochen klar. Manager Michael Preetz wird auf der zwei Tage später stattfindenden Mitgliederversammlung seine 20 Seiten fassende „schonungslose Analyse“ vorlesen. Wehmütig erinnert er daran, wie man noch kurz vor Weihnachten, selbst nach der verheerenden 2:5-Niederlage in München, voller Zuversicht auf die Rückrunde blickte. Die Neueinkäufe sollten der Mannschaft Schwung geben. Doch mit sieben Punkten fiel die zweite Saisonhälfte kaum besser aus.

Preetz sagt, im Nachhinein habe es sich als gravierender Nachteil herausgestellt, dass man mit Theofanis Gekas und Levan Kobiaschwili zwei „Ersatzbankprofis“ geholt habe. Beide hätten sich mit ihrem mangelnden Selbstvertrauen nahtlos dem verschreckten Charakter des Kaders angepasst. Dem Team habe es außerdem an positivem Esprit gemangelt. Die Verpflichtung von Kugelblitz Ailton Mitte April, gesteht Preetz, sei dann einfach zu spät gekommen.

Optimismus ohne Grenzen

Der unerschütterliche Optimismus von Trainer Friedhelm Funkel habe dagegen die Glaubwürdigkeitsgrenze überschritten, als der Coach sieben Spieltage vor Saisonende versicherte, er sei überzeugt davon, dass Hertha noch achtmal gewinnen könne. Preetz räumt selbstkritisch ein, er hätte früher erkennen müssen, dass Funkel die Mannschaft nicht mehr erreiche. Doch mit der Verpflichtung von Jürgen Röber habe der Klub signalisiert, dass man umgehend wieder nach oben wolle.

Ebenso habe es sich als nachteilig erwiesen, dass viele Profis in der Phase, als es um die letzte theoretische Chance ging, in der Liga zu verbleiben, Verhandlungen mit neuen Arbeitgebern geführt hätten. Preetz wettert, für ihn wäre das zu seiner aktiven Zeit bei Hertha unvorstellbar gewesen. Bis heute würde er immer nur an Hertha denken.

Ausdrücklich bedankt sich der Manager beim Berliner Senat, der mit seiner Kampagne „Berlin be Hertha“ mit dazu beigetragen habe, dass der Zuschauerschwund sich in Grenzen gehalten habe. Es sei schade, dass sich dieser Zusammenhalt der Stadt nicht auf die Mannschaft übertragen habe.

Zu Beginn der Rede von Michael Preetz ist die Stimmung im großen Saal des International Congress Centrum äußerst feindselig. Er wird immer wieder von Pfiffen und Rufen („Wir sind die Hauptstadt. Wir gehören auf Platz eins“) unterbrochen. Als er dann aber am Ende seines Vortrags einen Vorschlag von der Mitgliederversammlung Ende November 2009 aufgreift, wendet sich die Stimmung im Saal. Preetz fordert, die Spieler müssten künftig auch mal mit den Hertha-Mitgliedern eine Currywurst essen. Das fördere das Miteinander im Verein. Daraufhin werden alle zwölf Anträge auf Abwahl des Präsidiums zurückgezogen. Nur ein Unverbesserlicher hält seinen Antrag auf Auflösung des Vereins aufrecht. Das Ansinnen wird jedoch mit überwältigender Mehrheit abgeschmettert. JOHANNES KOPP

CONTRA

Natürlich wird Hertha nicht absteigen. Allein diese Vorstellung ist absurd – trotz des 18. Tabellenplatzes. Klar, seit Monaten und nicht zuletzt nach dem Spiel gegen Bayern München, das unterirdisch war, sieht vieles nach zweiter Liga aus. Aber das wird sich bald ändern. Ich setze auf einen Platz 15 am Ende der Saison.

Begründen kann ich dieses sichere Gefühl gleich mehrfach und beginne mit den Statistiken, die von den Abstiegsgläubigen für alles herhalten müssen und heruntergeleiert werden wie Mantras. Wer es immer noch nicht weiß: Statistiken lügen! Immer! Also kann dieses ganze Gewäsch à la „In den letzten bla, bla hat noch nie eine Mannschaft, die an Spieltag X weniger als soundso viele Punkte hatte, bla, bla; Hertha ist so schlecht wie anno dazumal Tasmania 1900, laber, laber …“ getrost und elegant übergangen und zur Seite gewischt werden. Nicht umsonst wurde auch die übermäßige Nutzung von sinnfreien Statistiken im TV-Fußball wieder eingestellt. Statistik sagt im besten Fall etwas über die Vergangenheit, aber gar nichts über die Zukunft.

Kommt mir nicht mit Logik

Was weiter gegen den Abstieg spricht, ist das Überraschungsmoment. Mit ein Grund für die große Begeisterung am Fußball ist doch, dass auf dem Platz fast alles passieren kann. Niemand hat mit drei Eigentoren in nur einem Spiel von Hannover gerechnet. Ist trotzdem passiert. Im Moment rechnet kaum jemand mit einer tollen Aufholjagd von Hertha. Kapiert?

Die, die jetzt so laut rufen, dass Hertha absteigen wird, vertrauen einfach nur der Logik. Logisch steigen die ab, geht doch gar nicht anders, rufen sie. Aber, seit wann, bitte schön, hat Fußball denn etwas mir Logik zu tun? Wie langweilig wäre eine Saison, wenn sie der Logik folgen würde? Der Ball ist schließlich rund, damit das Torglück auch mal seine Richtung ändern kann. Logik ist im Übrigen nur die hässliche Schwester von Statistik.

Völlig fraglos ist der Klassenerhalt aber spätestens seit vergangenem Mittwoch. Hertha hat sich mit dem Sieg gegen Lissabon Weihnachtsgeld verdient, das in neue Spieler investiert wird. Die sind tatsächlich nötig, da hilft keine Schönrederei. Doch Hertha ist keine schlechte Mannschaft. Ihr fehlt es nur an ein, zwei Spielern, welche die vielen Fäden, aus denen ein Spiel besteht, so zusammenknüpfen können, dass die anderen nicht, wie in den vergangenen Monaten, ständig über die Knoten stolpern. Gekas ist der Erste, den hat Hertha sicher. Lewan Kobiaschwili ist der Zweite, und mit Roman Hubnik oder einem ähnlichen Spieler wäre ein schönes Dreierpaket auf dem Weg ins Olympiastadion. Voilà, da sind sie, die Spieler, mit denen aus dem momentanen Hühnerhaufen wieder eine Mannschaft gewinnen kann. Und wird.

Der letzte, gewaltige Pluspunkt, der für Hertha spricht, ist Berlin an sich. Die Stadt ist ja auch nicht schön, laufend ärgert man sich über etwas, das nicht funktioniert, und schimpft tagein, tagaus vor sich hin, aber trotzdem gewinnt Berlin jedes Derby der Herzen gegen andere deutsche Städte. Hertha ist ein Teil von diesem hässlichen Berlin. Schön ist das alles nicht, was der Verein zu bieten hat, aber er passt so gut zu unserer Stadt, und daran wird sich auch nichts ändern. Hertha rumpelt wie Berlin und schafft es genau deshalb, in der 1. Liga zu bleiben. Und zwar mit links. SARAH SCHMIDT