Unermüdliches Unikum

SCHWIMM-EM Patrick Hausding ist als Kunst- und Turmspringer erfolgreich

BUDAPEST taz | Heute Morgen war es mal wieder so weit. Um Punkt sechs Uhr klingelte bei Patrick Hausding der Wecker, draußen vor dem Fenster nahm die ungarische Sonne langsam ihren täglichen Dienst auf – und noch viel langsamer arbeitete sich der Wasserspringer vom Berliner TSC aus seinem Bett. Eine Tortur, die der 21-Jährige in aller Regel zunächst mit einem rituellen Griff zur TV-Bedienung aufnimmt. Mit „Fernsehmusik“ startet Hausding in Budapest in den Tag. Denn das frühe Aufstehen hier muss zwar sein, ist in seinem Genre aber auch gefährlich. „Jeder weiß: Wenn man sehr früh aufsteht, ist man immer ein bisschen langsamer“, erklärt er und betont: „Beim Wasserspringen ist das fatal.“

Den Kampf gegen die Langsamkeit hat Patrick Hausding bei der EM bisher bestens hinbekommen. Am Mittwoch gewann er zum Auftakt Silber vom Ein-Meter-Brett, tags darauf folgte eine weitere Silbermedaille im Synchronfinale aus drei Meter Höhe, gemeinsam mit dem Leipziger Stephan Feck. „Diese Medaille war einkalkuliert“, teilte Hausding nach erfüllter Pflicht mit – und konzentrierte sich schon wieder auf seinen nächsten Auftritt. „Das wird mit der härteste Wettkampf“, urteilte er vor der Entscheidung vom Drei-Meter-Brett.

Ähnlich wie bei Olympia in Peking, als die deutschen Springer den Beckenschwimmern des DSV in den ersten Tagen die Show stahlen, ist die Abteilung von Mannschaftsleiter Walter Alt auch jetzt wieder munter beim Medaillensammeln. Die 27-jährige Christin Steuer vom SC Riesa siegte am Donnerstagabend vom Turm. Bis vor acht Jahren sprang Christin zusammen mit ihrer Zwillingsschwester, mit der sie bei der Geburt am kleinen Finger zusammengewachsen war, im Synchronduo. Die Schwester musste ihre Karriere wegen einer Verletzung früh beenden. Und auch Patrick Hausding hat einen Partner im Sportlerleben: Seite an Seite mit dem Aachener Sascha Klein holte er vor zwei Jahren in Peking olympisches Silber bei der Synchronübung vom Turm. In Budapest wird dieser Wettbewerb am Samstagnachmittag entschieden. Klein und Hausding steigen als Top-Favoriten auf den Turm – und für den Berliner wird es dann bereits das vierte Finale am vierten EM-Tag der Wasserspringer sein.

Wenn Hausding danach immer noch kann und mag, wird er am Sonntag gar zu einem Unikum in seiner Branche avancieren. Mit der Teilnahme am Einzel vom Turm könnte der emsige Springer alle fünfe voll machen. „Dann wäre er international der erste Springer überhaupt, der in allen Wettbewerben in der europäischen Spitze mitmischt“, orgelt DSV-Sportdirektor Lutz Buschkow, der die Wasserspringer selbst jahrelang betreut hat.

Vor lauter Stolz auf seinen Athleten scheut Buschkow nicht einmal den schnippischen Vergleich mit den kleinen, zarten Riesen des Genres: „Was er macht, ist einzigartig, das schaffen nicht einmal die Chinesen. Die sind alle entweder nur Turm- oder nur Kunstspringer.“ Hausding sei „wie eine Katze, die man aus dem Fenster wirft“, rühmt Buschkow den Sportsoldaten. Denn auch das Kätzchen landet immer auf seinen vier Beinen, das Problem Orientierungslosigkeit existiert für solche Wesen einfach nicht. ANDREAS MORBACH