Distinktionsgewinn ohne Sturm

NORDDERBY Der FC St. Pauli tritt zu mutlos auf, um gegen Aufsteiger Eintracht Braunschweig zu gewinnen

„Das Spiel war vom Geschmack her wie ein schales Glas Bier“

HELMUT SCHULTE, ST. PAULI-MANAGER

Fan des FC St. Pauli zu sein, hat vor allem etwas mit Distinktion zu tun. Man will anders sein. Anders als der gesellschaftliche Mainstream, als die Fans der anderen Clubs. Und wenn die es einem so einfach machen wie die von Eintracht Braunschweig mit ihrem Transparent, auf dem in Frakturlettern „Schluckspechte Braunschweig“ steht, kann man sich immer noch von anderen St. Pauli Fans abgrenzen.

Zum Beispiel so: Auf dem Riesentransparent der St. Pauli-Ultras quer über die Südtribüne ist ein Irokese zu sehen, der ein Schild „derber als Werber“ hochhält. Das kann als Spitze gegen Schicki-Fans im allgemeinen verstanden werden – oder als Nachtreten gegen jene Werbeagentur, die mit ihrer als Bretterbude verkleideten VIP-Loge dem baldigen dritten Bauabschnitt des Stadionneubaus weichen musste.

Um Distinktion, so könnte man meinen, muss es auch St. Pauli-Trainer André Schubert gegangen sein. Jedenfalls gibt es nicht viele Trainer, die in einem Heimspiel keinen echten Stürmer aufstellen. Die alternde Spitzenkraft Marius Ebbers ist seit Monaten immer wieder verletzt. Die anderen Stürmer erfreuen sich zwar bester Gesundheit, aber offenbar nicht der uneingeschränkten Wertschätzung des Trainers. Mahir Saglik muss immer noch für den verweigerten Handschlag nach einer Auswechslung büßen. Der schnelle Deniz Naki ist Schubert zu faul in der Defensive. Und Leihstürmer Petar Sliskovi bekommt zwar immer wieder angekündigt, dass er von Beginn an spielen dürfe, sitzt dann aber doch auf der Bank.

Also bietet Schubert eben vier offensive Mittelfeldspieler auf. Das führt dazu, dass der Ball sehr lange braucht, bis er mal im Braunschweiger Strafraum angekommen ist – schließlich will jeder mindestens einmal am Ball gewesen sein. Und dann ist immer noch die Frage, wer sich dort der Kugel erbarmt: Max Kruse muss sich immer wieder tief zurückfallen lassen und Kevin Schindler lässt oft weit auf den Flügel abdrängen.

Braunschweig dagegen tut ohne die verletzten Stammspieler Theuerkauf und Kruppke genau das, wovor Schubert seine Mannschaft vorher gewarnt hat: Kompromisslos verteidigen und blitzschnell umschalten. Es ist St. Paulis Glück, dass der letzte Pass nicht oft ankommt. Erst als Schubert nach einer Stunde ein Einsehen hat, Sliskovi und dann Saglik einwechselt, kommt Leben ins Spiel. Für ein Tor reicht es aber nicht mehr.

Bei Aufsteiger Braunschweig blickte man nach dem dritten Unentschieden in Folge in zufriedene Gesichter. „Das gibt Selbstvertrauen“, meinte Verteidiger Ermin Biaki, „auf St. Pauli zu gewinnen ist ja nicht leicht.“ Und Trainer Torsten Lieberknecht erinnerte daran, dass seine Mannschaft inklusive Hinspiel vier Punkte gegen St. Pauli geholt hat.

Beim Aufstiegsaspiranten St. Pauli gab man sich Mühe, ebenfalls das Positive zu sehen. „Dass wir zu null gespielt haben, war wichtig“, sagte Mittelfeldspieler Florian Bruns, „das lassen wir uns auch nicht madig reden.“ Und: „Wer weiß, wofür der Punkt am Ende noch gut ist.“ Trainer André Schubert räumte zwar ein, dass es „grundsätzlich“ darum gehe, Spiele zu gewinnen. Aber er sagte auch: „Ich bin froh, dass wir solche Spiele wie heute nicht verlieren.“ Nur Manager Helmut Schulte knurrte: „Das Spiel war vom Geschmack her wie ein schales Glas Bier.“  JAN KAHLCKE