Die vierte Gewalt unter Beschuss

Samstag, 18. April 2009 Diskussion: „Was ist heute noch kritische Öffentlichkeit“: Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Stern, Chefredakteur für Sonderaufgaben bei Gruner + Jahr; Bascha Mika, taz-Chefredakteurin; Maria Kniesburges, Chefredakteurin von ver.di-Publik – dem auflagenstärksten Blatt nach der ADAC-Motorwelt, das im Gegensatz zur Auto-darf-alles-Postille eine klare linke Position bezieht; Hubertus Meyer-Burckhardt, der es geschafft hat, sowohl Springer wie dem Privatfernsehen als Vorstand zu dienen. Er leitet heute die Polyphon Filmproduktion Hamburg, wenn er nicht gerade mit Barbara Schöneberger die NDR-Talkshow moderiert; Klaudia Wick, ohne die jede Jury eines deutschen Fernsehpreises ärmer wäre und die bis 1999 die Geschicke der taz als Medien- und Chefredakteurin mitbestimmte; Klaus Werner Lobo, der „Star der alternativen Globalisierung“ (Spiegel Online) befeuert den Diskurs per blog klauswerner.com und mit Büchern wie „Schwarzbuch Markenfirmen – Die Machenschaften der Weltkonzerne“ und zuletzt „Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis“.

Sonntag, 19. April 2009Workshops: „Die Zukunft des Journalismus“ mit Friedrich Küppersbusch, taz-Welterklärer, RTL-„Schuldenberater“-Erfinder und Chef der Produktionsfirma probono tv; Stephan Weichert, Medienwissenschaftler und Herausgeber der Medienbibel „Alpha-Journalisten und „Alpha-Journalisten 2.0“ über die Drahtzieher in Print, TV und Netz; David Cohn, Star des Citizen Journalism aus den USA; Arno Luik, Ex-tazler und Stern-Autor mit einem Faible für globalisierungskritische Kapitalisten; Jakob Augstein, Chefredakteur der linken Wochenzeitung Freitag.How to make Perlentaucher“: Thierry Chervel erklärt sein Internet-Erfolgsmodell.

Die Medien und ihre erhöhte Stellung in der Gesellschaft: Ein Auslaufmodell?

Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab: Redaktionen werden aufgelöst oder zusammengelegt, Honorartöpfe eingedampft, Deutschlands größter Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr streicht ganze Titel – die Medienbranche ist in der Krise. Die Axel Springer AG hat plötzlich keine Lust mehr auf’s Regionale und verkauft die meisten ihrer Titel an Madsack, die WAZ-Gruppe baut konzernweit hunderte Stellen ab – auch in ihren Redaktionen. Selbst große Titel wie die Frankfurter Rundschau sahen in den letzten Jahren keinen anderen Ausweg, als unter das Dach großer Pressekonzerne zu flüchten. Die Medienkonzentration nimmt so weiter zu – jetzt auch bei den für die kritische Öffentlichkeit so wichtigen Überregionalen: Konzernunabhängig sind heute nur noch FAZ und taz. Doch das Blatt aus Frankfurt dürfte wegen massiver Ausfälle bei den Stellenanzeigen das nächste sein, das gerupft wird.

Im Radio und Fernsehen sieht es nicht besser aus: Den Privatsendern brechen Umsätze weg und Aktienkurse ein. Engagierter Journalismus hatte hier immer schon einen schweren Stand, nun gilt er – da er nun einmal mehr kostet als Talkshow und Promi-Dinner – erst recht als verzichtbar. Selbst die dank Rundfunkgebühr traditionell kommod ausgestatteten Öffentlich-Rechtlichen klagen auf hohem Niveau über zu wenig Geld. Dabei steht die ganz große Herausforderung – der Umstieg ins volldigitale Zeitalter – erst noch bevor, und niemand weiß heute, wohin diese Reise geht.

Und auch wenn manche Großverlage die aktuelle Konjunkturkrise dreist dazu benutzen, den eigenen gar nicht so schlecht dastehenden Laden weiter zu rationalisieren: Die Verunsicherung einer ganzen Branche ist tief und echt.

Denn für sie steht mehr auf dem Spiel als Zeitungsauflage oder Einschaltquote, es geht ums Prinzip: Die Presse und damit alle Medien genießen in unserer Gesellschaft metaphysische Überhöhung – als die berühmte „Vierte Gewalt“ – wie ganz reale Privilegien. Ihre Gegenleistung dafür: Kontrolle der Mächtigen durch kritischen Journalismus, Information der Gesellschaft, auf dass sich diese als kritische Öffentlichkeit konstituieren und artikulieren kann.

Doch solche hehren Ziele stehen schon länger in denkwürdigem Kontrast zur realen Situation in vielen Zeitungsredaktionen, wo mangelnde personelle Ausstattung – und viel zu oft auch mangelndes journalistisches Engagement – zu wenig mehr als Nachrichtenverwaltung führt.

Gehuldigt wird dem alten Fetisch von der Aktualität – doch was heißt das in Zeiten von Internet und Twitter, die das globale Dorf endgültig vernetzen und die alte mediale Einbahnstraße aufheben: Bert Brecht träumte in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in seiner Radiotheorie von „jeder als Sender wie Empfänger“. Heute kann jeder bei Youtube und anderen Plattformen Videoclips einstellen und bloggen.

Die etablierten Medien bleiben in ihrer Wagenburg und reagieren auf diese Herausforderungen mit ungehemmter Panik, zumal ihnen in den Weiten des World Wide Web, bis auf wenige Ausnahmen, die Geschäftsmodelle flöten gehen. Und neue haben sie nicht. Das Internet ist für alle da und seine Inhalte sind umsonst – diese Entwicklung lässt sich nicht mehr umkehren. Gleichzeitig wird für Werbung in der Online-Welt weniger gezahlt als für Print-Anzeigen oder TV-Spots: Die Revolution findet statt, aber die alten Spielregeln gelten nicht mehr.

Davon ist – in Grenzen – natürlich auch die taz betroffen. Doch statt wie die anderen Verlage larmoyant die eigene Ratlosigkeit zu betrauern, müssen unsere Fragen anders lauten: Sind die Medien und ihre herausgehobene Stellung in der Gesellschaft ein Auslaufmodell?

Oder genauer gefragt: Was ist denn heute noch Kritik, wie kann kritische Öffentlichkeit hergestellt werden, wie sieht heute kritischer Journalismus für das 21. Jahrhundert aus?

Eine Antwort wollen wir auf dem tazkongress in Angriff nehmen, in dem wir die Herausforderungen aus ganz verschiedenen Blickwinkeln beleuchten: Den Aufschlag macht Ulrich Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Sterns und dort mit seinem wöchentlichen „Zwischenruf aus Berlin“ so etwas wie die personifizierte kritische Ein-Mann-Öffentlichkeit. Antworten wird ihm ein Diskussionspanel von Maria Kniesburges, Chefredakteurin der stets unterschätzen Verdi-Mitgliederzeitschrift Publik, taz-Chefin Bascha Mika bis zum Filmproduzenten Hubertus Meyer-Burckhardt. Der Blick über den eigenen Tellerrand ist jetzt wichtiger denn je.

Wie aber soll Qualität sichergestellt werden, wenn fast alles umsonst ist? Wer kann oder darf sich noch anmaßen, für und im Auftrag dieser seltsam unbestimmten „Öffentlichkeit“ zu hinterfragen, einzuordnen und zu räsonieren, wenn diese das eigentlich nun selbst kann?

Das Rundumglücklichpaket des tazkongresses:Neben den Diskussionen, Vorträgen und Workshops bieten wir auf dem tazkongress vom 17. bis 19. April 2009: eine Weineprobe – trocken, limitiert und bekömmlich; Lesungen von taz-Autoren und ihre neuen Bücher; eine Vernissage – die Fotoredaktion präsentiert! Improtheater – die Gorillas spielen auf; Kinderkinder – Betreuung vor Ort; Seyfried und Tom – die Karikatur als Weltsicht; Berlin vom Wasser aus – geführte Schiffstouren; Relax – die mobile Massage gegen Kongressstress; Konsummeile tazshop …

Tickets: Kartenvorverkauf für die Gala und den Kongress gibt es unter www.taz.de/30 Jahre oder im tazshop in der Rudi-Dutschke-Straße 23 in Berlin.

Wie sieht der Journalismus der Zukunft aus, fragen wir mit dem „Bildblog“-Gründer Stefan Niggemeier, Jakob Augstein, Chefredakteur der linken Wochenzeitung Freitag und Stephan Weichert von der Macromedia-Hochschule für Medien und Kommunikation, einem der jüngsten Medienprofessoren Deutschlands.

Denn in der neuen digitalen Welt geht es um eine grundsätzliche Überprüfung der alten Werte und Normen, nicht bloß um die immerwährende Debatte um die Chancen und Risiken von Mitmachjournalismus und Leserreportern. Die Medienwelt muss zum TÜV – und wer, wenn nicht die taz und ihre engagiert kritischen LeserInnen, sollte hier die PrüferInnen stellen.

        STEFFEN GRIMBERG

Steffen Grimberg, 41, stammt aus Dortmund, ist taz-Medienredakteur und Träger des Bernd-Donnepp-Preises für Medienpublizistik 2008