IM BABYMILCHSKANDAL ZEIGT CHINA WIEDER SEINE DUNKLEN SEITEN
: Milchpulver, Gier und Korruption

Noch kleben überall in Peking Transparente mit dem Slogan „eine Welt – ein Traum“, noch strahlt das Fernsehen Bilder der Olympia- und Paralympics-Sieger aus. Doch die Hoffnung der Regierung, sich noch ein wenig im Glanz der Sportspiele sonnen zu können, hat sich nicht erfüllt. Der Skandal um vergiftete Babymilch erinnert an die andere, dunkle Seite des neuen China, die KP-Funktionäre während der Spiele vertuschen wollten: die systematische Korruption, die Machtgier lokaler Funktionäre und der Mangel an effektiver Kontrolle.

Monatelang streckten skrupellose Bauern und Geschäftsleute tausende Tonnen Milch mit der Chemikalie Melamin, die einen erhöhten Proteingehalt der Milch vortäuschen soll, aber auch Nierensteine hervorruft. Obwohl besorgte Eltern bereits im Frühjahr warnten, kümmerte sich niemand darum; die örtliche Presse bekam einen Maulkorb umgelegt. Erst als der Skandal international ruchbar wurde, reagierten die Behörden in Peking und stoppten die Produktion der Firma Sanlu, die seit Jahrzehnten Milchpulver herstellt.

Die Affäre reicht mittlerweile über die Grenzen des Landes: Verseuchte Milchgetränke wurden nach Afrika, Bangladesch und nach Taiwan exportiert. Und Sanlu ist nicht der einzige Sünder: 22 Hersteller, das heißt ein Fünftel der 109 untersuchten Unternehmen, verkauften Milchprodukte mit dem gefährlichen Melamin, gab der Chef der Pekinger Aufsichtsbehörde, Li Changjiang, gestern vor Journalisten zu. Warum seine Behörde den Skandal nicht verhinderte, nachdem schon vor vier Jahren bei einem Babymilchskandal 13 Kinder gestorben waren, konnte er nicht erklären.

Wohlhabende Chinesen weichen jetzt auf teure Babymilch ausländischer Firmen aus. Für die meisten chinesischen Eltern aber gibt es diese Möglichkeit nicht – und nachlässige oder korrupte Funktionäre verklagen oder gar abwählen, das können sie auch nicht. Um die Volksseele zu besänftigen, wird die KP der Öffentlichkeit daher sicher bald ein paar örtliche Bösewichter präsentieren, die in Schnellverfahren zum Tode oder zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. JUTTA LIETSCH