Debatte US-Wahl: Obamas Moment

Ein "historischer" Präsident ist Barack Obama bereits. Er kann auch ein "großer" Präsident werden - gerade, weil er in einer dramatischen Krisenzeit ins Amt kommt.

Diese Wahl gehört in eine Reihe mit anderen historischen Momenten: Mondlandung, Mauerfall, 9/11. Und jetzt Obamas Landung in Amerika. Es war knapp nach vier Uhr früh, als CNN kein Risiko mehr sah und die Prognose wagte, Barack Obama sei nun zum US-Präsidenten gewählt. Da fügte der Moderator noch hinzu: "Jeder wird sich in vielen Jahren noch daran erinnern können, wo er war, als er hörte, dass Barack Obama die Präsidentschaftswahl gewonnen hat."

Ein "historischer" Präsident ist Barack Obama schon jetzt in dem Moment, in dem er gerade ins Amt gewählt worden ist. Der erste schwarze bzw. "farbige" Präsident der USA - das kann ihm niemand mehr nehmen, selbst wenn ihm sonst nicht mehr allzu viel gelingen würde.

Zudem markiert diese Wahl das Ende einer düsteren Epoche. Der Bush-Jahre sowieso - aber auch die bittere Ära des neokonservativen Radikalismus ist wohl zu Ende, deren Beginn mindestens auf die frühe Mitte der Neunzigerjahre mit der so genannten "Gingrich-Revolution" datiert werden kann. Damals eroberten die Republikaner erstmals seit vier Jahrzehnten eine Mehrheit im Kongreß, und Newt Gingrich wurde ihr Sprecher.

Jetzt muss der "historische" Präsident Obama noch zu einem "großen" Präsidenten werden. Er hat es schwer und in einem gewissen Sinne auch leicht - und zwar aus den gleichen Gründen. Obama übernimmt die USA in einer der vielleicht schwierigsten historischen Phasen der vergangenen sechzig Jahre. Die Staatskasse ist leer, das globale Finanzsystem steht am Rande des Kollaps, der Wirtschaft droht eine Depression - und die USA sind das Epizentrum des Bebens. "In Krisenzeiten ins Amt zu kommen garantiert keine Größe, aber es kann eine gute Gelegenheit dafür sein", sagt der politische Philosoph Michael Sandel in der New York Times.

Immer wieder fällt beim Versuch, "Obamas Moment" zu beschreiben, der Name des letzten wirklich ganz großen Präsidenten der US-Geschichte - Franklin Delano Roosevelt. Er wurde 1932 ins Amt gewählt und war mit den Verwerfungen der Großen Depression konfrontiert, die dem Börsencrash des Jahres 1929 folgte. Roosevelt legte mit dem "New Deal" nicht nur die Grundlage für den - unvollendet gebliebenen - amerikanischen Wohlfahrtsstaat, er entwickelte auch eine völlig neue Wirtschaftspolitik. Dabei hatte Roosevelt keinen "großen Plan", schon gar nicht war er ein Linker, der immer schon einen Sozialstaat schaffen wollte. Aber er war flexibel genug, um angesichts neuer Herausforderungen auf neue Berater zu hören. "Normal" weiter machen: das ging einfach nicht mehr.

Obama ist, was das betrifft, in der exakt gleichen Situation. Es ist, das mag einem das gefallen oder nicht, ein Gesetz der Geschichte, dass große Kurswechsel nicht deshalb stattfinden, weil weitsichtige Politiker zu dem Schluss kommen, sie wären gut. Sondern, weil sie von dramatischen Geschehnissen erzwungen werden.

In Teilen der Blogosphäre, unter manchen kritischen Geistern und unter abgeklärten Realisten - einem Biotop also, in dem Miesepeterei bestens gedeiht und depressives Gemosere zum Lebensgefühl gehört - wird gerne darauf hingewiesen, dass von dem substanzlosen Wischi-Waschi-Redner Obama nun wirklich nichts Derartiges zu erwarten sei. Schließlich sei er sicher kein Linker - eher ein Opportunist, ebenso für die Todesstrafe wie für den Afghanistan-Krieg.

Nun ist es bestimmt so, dass Obama manche Dinge aus Opportunismus sagt, die dem gemeinen europäischen Altlinken nicht passen. Und dass er manche Dinge tatsächlich ernst meint, die gegen die Überzeugungen des hergebrachten Linksseins stehen. Aber ist er deswegen gleich ein Opportunist? Oder ein substanzloser, postmoderner Polit-Posterboy?

Obama hat, entgegen dieses landläufigen Meinens, ein ziemlich klar ausgebildetes Weltbild, das seit Jahren offen liegt und sich aus zwei Quellen speist. Einerseits ist das die traditionelle amerikanische Linke, die, anders als die europäische Linke, den "herrschenden Staat" nicht bekämpfte, sondern die Realisierung der egalitären Versprechen der amerikanischen "Idee" einforderte - jene Linke, für die Woody Guthries "This Land is your Land" zur Hymne wurde. Die zweite Quelle ist die politische Philosophie des Kommunitarismus, die die amerikanischen Gemeinschaftstugenden hochhält und auch mit einem "mitfühlenden" Konservativismus kompatibel ist.

Hinzu kommt dann auch eine Prise Taktik. In einem Land, in dem sich rund 60 Prozent der Bürger als Konservative bezeichnen, formuliert Obama die politischen Haltungen der Demokraten so, dass sie auch an die Instinkte dieser Bürger anschlussfähig sind. Alles andere wäre zwar heroisch, aber blöd in einem Land, in der es die Rechte geschafft hat, den Begriff "liberal" - ganz zu schweigen von "leftist" - in ein Schimpfwort zu verwandeln. Dass Obama, gleichsam über identitäre "Body-Politics" das Erbe der Bürgerrechtsbewegung mit sich trägt, darüber muss man ohnehin keine Worte verlieren.

Wie immer man diese "Ideologie" nennen mag, die Obama leitet - sie ist das exakte Gegenteil zur bisher vorherrschenden "Dem-Stärkeren-freie-Bahn"-Weltbild, zur "The-Winner-Takes-It-All"-Philosophie. Dass er endlich allgemeinen Zugang zur Gesundheitsversorgung schaffen und die krassen Chancenungleichheiten etwa im Bildungsbereich bekämpfen will, ist heute ohnehin nur mehr das Minimalprogramm. Die gesamte Architektur des zeitgenössischen amerikanischen Kapitalismus muss neu justiert werden.

Freilich: Neue ökonomische Modelle und Paradigma werden nicht am Reissbrett entworfen. Jedes "Modell", vom Keynesianismus bis zur Reaganomics, wurde durch - graduell unterschiedlich - ideologisch motiviertes Improvisieren unter bestimmten historischen Umständen entwickelt. Wenn es einen "Obamismus" einmal geben sollte, wird auch er auf genau diesem Wege zur Welt kommen.

Obama hat Millionen junger Menschen, ja eine ganze Generation dazu gebracht, am demokratischen Prozess teilzunehmen. Klar, das war ein Mittel zum politischen Zweck, aber für sich genommen schon ein demokratisches Ereignis. Er bietet er die vielleicht größte Chance auf gesellschaftlichen Fortschritt, seit die sozialdemokratischen Sozialreformen in den späten Siebzigerjahren auszehrten.

Weil jedes amerikanische Phänomen über den Atlantik schwappt, werden wir in unseren Breiten bald viele Obama-Nachahmer finden. Die werden oft eines gewissen Komik-Faktors nicht entbehren. Charismafreie Politiker, die sich in Apparaten hochgedient haben und deren "Bewegung" aus Ortsverbandsmeiern besteht, werden cool "Yes we can" sagen, die Filmchen auf Youtube stellen und Politik in Social-Netwerk-Foren wie Facebook machen. Die Energie, die Obama möglich machte, kam freilich vom Rand der etablierten Politik. Sie funktioniert nur als Erneuerungs-Energie. Nicht als PR-Gag.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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