Debatte ZDF-Chefredaktion: Wieder kein Robin Hood

Die Diskussion um die Zukunft des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender ist allzu aufgeregt. Dennoch ist es richtig, Übergriffe durch Parteien zurückzuweisen.

Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Gut, dass es die wachsamen Feuilletons gibt. Wachsam? Na ja. Angesichts der seltsam aufgeregten Diskussion über die mögliche Vertragsverlängerung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender könnte man auch sagen: Guten Morgen, Redaktionen. Es ist schon lange und noch immer deutlich nach zwölf. Das wissen wir - Publikum ebenso wie Fachleute - seit längerem. Warum sind also plötzlich manche Leute bereit, wenigstens ein Auge zu öffnen für den Morgenkaffee nach dem Mittagsläuten?

Die Geschichte ist schnell erzählt. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob der Vertrag des parteilosen Brender, der als "Roter" gilt, über 2010 hinaus verlängert werden soll. Prominente Gesichter des Senders, von Claus Kleber über Maybrit Illner bis zu Marietta Slomka, haben sich öffentlich dafür ausgesprochen. Die Mehrheit im zuständigen Verwaltungsrat aber haben die "Schwarzen". Die Fronten werden täglich härter. Mit teilweise skurrilen Folgen.

So wirkt es unfreiwillig komisch, wenn ein Leitartikler der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) zwischen der beruflichen Zukunft von Nikolaus Brender und dem Grad der Pressefreiheit einen unmittelbaren Zusammenhang herstellt. Schließlich folgt seit Jahrzehnten sogar die Besetzung von Planstellen für Jungredakteure in manchen öffentlich-rechtlichen Anstalten dem Parteienproporz. Die Causa Brender bedeutet also: Nichts prinzipiell Neues im Westen. Oder auch im Osten.

Dennoch wird nun in führenden Feuilletons - gleich - im Zusammenhang mit Brender der Schriftsteller Franz Kafka bemüht. Bei allem Respekt: Geht es nicht eine Nummer kleiner? Offenbar nicht. Wer die Berichterstattung über den ZDF-Chefredakteur verfolgt, muss den Eindruck gewinnen, es handele sich bei ihm um einen Widerstandskämpfer, der unermüdlich gegen ein abscheuliches System ankämpft. Eine Art Robin Hood der öffentlich-rechtlichen Sender scheint er zu sein. Mutig und unbequem, so wird geschrieben.

Der wichtigste Beleg dafür: In einer Fernsehdebatte am Abend der Bundestagswahl hat er den noch amtierenden Kanzler, der an die Niederlage seiner Partei nicht glauben mochte, statt mit dessen Titel mit dessen Nachnamen angesprochen. Nach vorheriger Ankündigung, also sozusagen mit Anlauf. Das war eine hübsche Pointe und eine angemessene Reaktion auf das unangemessene Verhalten eines Amtsträgers, der in der Sendung wie ein Halbstarker herumpöbelte. Der künftigen Kanzlerin gegenüber zeigte sich Brender seinerzeit übrigens auch nicht chevaleresk.

Sollte all das tatsächlich mutig gewesen sein? Leider muss man das für möglich halten. Schließlich gibt es seit Jahrzehnten die verächtlichen Begriffe "Schwarzfunk" und "Rotfunk" für öffentlich-rechtliche Sender, in denen Funktionäre der - damals noch - "Volks"-Parteien nach Gutdünken über journalistisch attraktive Posten verfügen konnten. Das ZDF wurde noch lange nach seiner Gründung 1963 wegen seiner Nähe zu den Christdemokraten spöttisch "Herz-Jesu-Fernsehen" genannt. Es ist also gut vorstellbar, dass Amts-und Mandatsträger nachtragender sind, als sie es auch im Interesse ihrer Selbstachtung sein sollten.

Umso abstruser erscheint es daher, wenn sich plötzlich die veröffentlichte Meinung darüber erregt, dass die CDU den Posten des ZDF-Chefredakteurs gerne selber besetzen möchte, sobald sie die Möglichkeit dazu hat. Wer das überraschend findet, der findet es auch erstaunlich, dass die Zahl zwei auf die Zahl eins folgt. Wer will was mit der gegenwärtigen Debatte erreichen?

Die einfachste Antwort auf diese Frage muss nicht dümmlich sein. Brender hat Freunde, die bereit sind, ihm zu helfen. Das ist nicht eklig, das kann erfreulich sein. Zeigt es doch, dass die Angst vor der Macht der Parteien noch immer nicht alle anderen Erwägungen überdeckt.

Nächste mögliche Antwort. In Zeiten einer wirtschaftlichen Krise muss man etwas lauter schreien als sonst, um Gehör zu finden. Anders ausgedrückt: Hat sich die Öffentlichkeit erst einmal an das Flügelschlagen von Riesenvögeln gewöhnt, dann besitzt das Trillern eines Zaunkönigs wenig Aussicht darauf, auch nur zur Kenntnis genommen zu werden. Nichts spricht deshalb dagegen, ein wenig alarmistisch zu argumentieren. Die Frage ist allerdings, wer alarmiert werden soll und warum.

Jedes Plädoyer für Meinungsfreiheit und für unabhängigen Journalismus ist zu unterstützen. Allerdings ist - horribile dictu - vorstellbar, dass einige Protagonisten die Diskussion über eine der Spitzenpositionen im ZDF diese Debatte vor allem für eine günstige Gelegenheit halten, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nun endlich den Garaus zu bereiten. Dass es also überhaupt nicht um die Zukunft des ZDF oder gar eines seiner Spitzenvertreter geht, sondern nur und ausschließlich um die Frage, wer künftig und endlich die Kontrolle über das Medium Fernsehen gewinnt. Vorstellbar? Es ist wahrscheinlich.

In einem Interview mit der FAZ hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch bemerkenswert offenherzig erklärt, was ihn eigentlich beschäftigt. Wenn er überhaupt ein - im weitesten Sinne - inhaltliches Anliegen hat, dann das der Quote. Die entsprechenden Zahlen für ZDF-Informationssendungen seien sehr "bitter", mit Parteipolitik hätten die Überlegungen hinsichtlich der Zukunft des Senders "auf gar keinen Fall" etwas zu tun. Außerdem verbittet sich Koch noch Ratschläge von "außen". Der Verwaltungsrat wisse schon, was er tue.

Nett, dass er so offen sagt, was er meint. Nämlich: Die Öffentlichkeit soll, bitteschön, nicht mitreden bei der personellen und inhaltlichen Konzeption von Einrichtungen. Es genügt, dass sie löhnt. Der Verdacht liegt nahe, dass Koch im Prinzip findet, derlei Regeln sollten auch für staatliche Institutionen gelten. Falls er diese Unterstellung für unfair hält, dann wäre es erfreulich, er könnte und würde den Unterschied definieren.

Aber sollte der Verdacht begründet sein: Wie sehr unterschiede sich die Position von Koch dann eigentlich von der mancher Kritiker des Parteienproporzes in öffentlich-rechtlichen Medien? Einigen scheint es gar nicht darum zu gehen, ob der Vertrag eines Hierarchen verlängert wird. Sie fänden es einfach gut, wenn der Einfluss von Parteien insgesamt zurückgedrängt würde, auch und gerade im Hinblick auf Meinungsbildung. Alle, die jetzt stehend applaudieren, sollten sagen, was sie für eine demokratischere Alternative hielten: Bertelsmann? Rupert Murdoch? Nicht wirklich, oder?

Interessant an der Debatte über Nikolaus Brender ist nicht dessen individuelle Zukunft. Sondern die Frage, ob er dafür herhalten soll, den Einfluss der Parteien insgesamt zu beschneiden. Krisenzeiten eignen sich gut, um derlei zu erreichen. Weswegen es zwar gute Gründe geben kann, für Brender einzutreten - diese Parteinahme aber nicht zwangsläufig mit der üblichen Parteienschelte verknüpft werden sollte.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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