Debatte Nahost-Konflikt: Ein verrückter Weg zum Frieden

Mit dem Gazakrieg hat Israel die Hamas als zukünftigen Verhandlungspartner anerkannt. Jetzt müssen beide Seiten die Vergangenheit ruhen lassen.

Kann ein Krieg für irgendetwas gut sein? Keine Frage: Krieg ist dumm und scheußlich, er tötet Menschen, nährt Verzweiflung und den Wunsch nach Rache. Krieg ist die dunkle Seite der Menschheit und richtet sich gegen alles, wofür die drei großen Religionen stehen ("Frieden", so lautet sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch einer der Namen Gottes, und auch die Bibel sagt, ihr einziger Zweck sei, der Welt Frieden zu bringen).

Doch manchmal bietet der Krieg auch die Chance, einem Frieden den Weg zu bereiteten. So war es nach dem Krieg zwischen Ägypten und Israel, der mit dem Friedensabkommen von Camp David beendet wurde, oder nach dem Zweiten Weltkrieg Mitte des letzten Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent. Während des Gazakriegs hat Israel erklärt, seine Bombardements könnten dazu beitragen, eine neue Sicherheitsordnung in der Region zu schaffen und einen lang anhaltenden Waffenstillstand zu erreichen. Aber das können nur Zwischenstationen auf dem Weg zur eigentlichen Ziellinie sein - einem echten Frieden im Nahen Osten.

Für Israel brachte der Gazakrieg zwei bedeutende Ereignisse mit sich: Erstens hat es damit der Hamas den Krieg erklärt. Und zweitens musste Israel im Laufe der dreiwöchigen Kampfhandlungen die Grenzen seiner Macht erkennen, weil es ihm nicht gelang, eine grundsätzliche Veränderung der Situation herbeizuführen. Was war daran so bedeutend? Israel musste die Grenzen seiner Macht erfahren, weil es weder vermochte, die Hamas zu stürzen, noch ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu brechen. Alles, was über Israels jüngste Angriffe hinausgehen würde, wäre schon an der Grenze zum Völkermord. Auch hat der Krieg Israel deutlich gemacht, dass es seine Probleme nicht mehr allein lösen kann. Er hat Israel gezeigt, dass es sich von seinen Kreuzzugsfantasien lösen muss - also dass es so einfach in den Nahen Osten kommen, die dort lebenden Menschen missachten und die Region für einen jüdischen Staat zerstören kann. Dieser Traum ist aus. Jetzt ist die Zeit für einen Dialog gekommen.

Was uns zu dem zweiten Punkt führt: Wenn Israel die Hamas zum Feind erklärt hat, hat es sie gleichzeitig zum Repräsentanten künftiger Friedensgespräche erkoren - so wie damals, als Israel im Jahr 1982 der PLO im Libanon den Krieg erklärte. Damit bereitete es den Boden für die künftigen Friedensverhandlungen von Oslo, die bis heute auf ihren Abschluss warten.

Wenn Israel nun verstanden hat, dass es die Hamas nicht für alle Zeiten im Kampf besiegen kann, muss es auf eine andere Möglichkeit setzen, den Krieg zu gewinnen: Es muss die Hamas zu einem Gesinnungswandel bewegen und sie davon abbringen, Israel als Feind zu betrachten. Ich weiß, das klingt verrückt - aber wenn die Realität so verrückt ist, müssen wir auch nach verrückten Lösungen suchen.

Lasst uns mit dem Offensichtlichen - um nicht zu sagen: Verrückten - beginnen: Nachdem der Krieg um Gaza beendet ist, sollten alle, Israelis wie Palästinenser, zunächst einmal nicht zurückblicken, sondern arbeiten, arbeiten, arbeiten - so wie es die Deutschen in den ersten zwanzig Jahren nach ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg getan haben.

Die Welt sollte sich bemühen, jeden weiteren Waffenschmuggel nach Gaza zu unterbinden. Genauso hart aber sollte sie daran arbeiten, den Ausbau und die Errichtung neuer Siedlungen zu verhindern - und sie sollte entsprechende Strafen verhängen, wenn Israel diesem Ziel zuwiderhandelt. Die Welt darf auch nicht mehr unkontrolliert Gelder nach Gaza pumpen. Stattdessen sollte sie Aufträge vergeben und Anreize für Unternehmen schaffen, damit diese Fabriken in den besetzten Gebieten eröffnen. Diese Unternehmen sollten in den Genuss von billigen Arbeitskräften und Steuervergünstigungen kommen - und das könnte den Einwohnern des Gazastreifens Arbeit, Stolz und ein Gefühl der Hoffnung geben. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Hamas die Herzen der Palästinenser durch ihre Wohlfahrtspolitik eroberte. Darüber hinaus sollte die Welt in Projekte investieren, die den Israelis günstigen Wohnraum und neue Arbeitsmöglichkeiten in der Wüste schaffen. Viele der Siedler, die im Westjordanland leben, sind dort nicht aufgrund einer Mission oder aus Patriotismus hingezogen. Sie leben dort, weil es billiger ist als im israelischen Kernland und sie hohe Steuervergünstigungen genießen.

Da Israel nicht alle zwei Jahre in den Krieg ziehen kann und es die Grenzen seiner Macht erkannt hat (oder irgendwann erkennen wird), muss es einen neuen Ansatz finden. Am Anfang dieses Neubeginns muss die Anerkennung des Unrechts stehen, das den Palästinensern angetan wurde. Israel muss begreifen, dass die Palästinenser so wie die Juden vor 60 Jahren sich mit der Vergangenheit quälen und auf eine Zukunft hoffen. Und Israel muss ihnen helfen, in der Gegenwart zu leben.

Israel muss auch lernen, die kulturelle und religiöse Sprache der Muslime zu sprechen. Israels Identität ist westlich geprägt, es ist fast zu einer Zweigstelle des christlichen Europas geworden. Aber in religiöser Hinsicht steht es dem Islam viel näher, was Riten, Sitten und Gebräuche betrifft. Israel sollte eine jüdisch-muslimische Sprache entwickeln, mit der beide Völker künftig nicht nur über Grenzübergänge verhandeln können, sondern auch über Fragen der Identität und darüber, welchen Weg die beiden Nationen einschlagen sollen. Israel könnte mit einfachen Schritten beginnen. Zum Beispiel könnte es das Arabische in den Lehrplan seiner Schulen aufnehmen, das Studium des Korans und arabischer und muslimischer Gebräuche.

Es gäbe auch noch andere Mittel, der Hamas zu helfen, ihre Gesinnung zu wandeln und in die Felder der internationalen Welt einzutreten. Statt beispielsweise nur Politiker und Wissenschaftler an den Verhandlungstisch mit den Palästinensern zu holen, sollte Israel auch radikale, nationalreligiöse Siedlerführer aus dem Westjordanland hinzuziehen. Gibt es denn etwas Naheliegenderes als Verhandlungen zwischen Menschen, die eine gemeinsame oder verwandte Sprache sprechen? Zwischen Leuten, die an ein ihnen versprochenenes Land glauben und daran, ihren Auftrag von ganz oben, von Gott, zu erhalten?

Ich weiß, das klingt alles etwas verrückt. Ich setze hier voraus, dass Israel seine Waffen fallen lassen wird und die Hamas Israel die Friedenshand reicht; ich schreibe über israelische Kinder, die den Koran studieren; über extremistische Palästinenser, die zusammen mit ihren jüdischen Kontrahenten am Verhandlungstisch sitzen; ich fordere die Welt inmitten einer Wirtschaftskatastrophe auf, Geld für Arbeitsplätze und die Bewirtschaftung der Wüste auszugeben. Aber verrückt ist ein relativer Begriff. Noch vor zwei oder drei Jahren wäre jeder, der vorausgesagt hätte, dass ein Schwarzer im Weißen Haus sitzen wird, als verrückt bezeichnet worden.

Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning

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