OHNE DIE PERSPEKTIVE EU KÖNNTE DIE STIMMUNG AUF DEM BALKAN KIPPEN
: Merkels Torschlusspanik

Was hat die Bundeskanzlerin nur dazu gebracht, den Staaten des westlichen Balkans die Tür zur EU vor der Nase zuzuschlagen – entgegen allen früheren Absichtserklärungen? Das CDU-Wahlprogramm ausgerechnet für die Europawahl will nur noch Kroatien diese Perspektive bieten. Und am Wochenende setzte die Kanzlerin zusammen mit Frankreichs Präsident Sarkozy noch einen drauf: Wenn der Vertrag von Lissabon nicht ratifiziert werde, dann könne es keine EU-Erweiterung geben, auch nicht für Kroatien.

Mag sein, dass die beiden Politiker angesichts der unsicheren Lage in Tschechien und vor der zweiten Volksabstimmung in Irland Druck machen wollen. Mit dem Vertrag von Lissabon wäre die EU sicherlich handlungsfähiger, vor allem außenpolitisch. Und so ist der Wunsch der beiden durchaus zu verstehen, an diesem Punkt endlich weiterzukommen. Aber die beiden müssten doch auch kalkulieren, dass mit solchen Äußerungen gerade die demokratischen Kräfte auf dem Balkan geschwächt werden. Nationalisten, Faschisten, Kriminelle und Kriegstreiber fürchten nämlich die Perspektive EU. Die Aussicht auf die Integration war bisher ein wirksames Instrument der EU-Außenpolitik, um nicht nur Frieden und Stabilität zu stiften, sondern auch den Gesellschaften der Region Hoffnungen auf wirtschaftliche Reformen und Rechtssicherheit zu geben. So ist es klar, dass die Außenpolitiker Olli Rehn und Javier Solana in Brüssel und all jene europäischen Politiker, die sich mit der Lage auf dem Balkan näher beschäftigt haben, jetzt Protest einlegen.

Fiele die Perspektive EU weg, könnte die Stimmung auf dem Balkan umschlagen. Das wissen die Experten sehr genau. Gerade in der Krise, die die armen Länder noch stärker trifft als die reichen, rauben solche Äußerungen jegliche Hoffnung auf Besserung und unterstützen nur die Falschen.

Will Merkel mit Blick auf ihre konservative Wählerschaft, die ohnehin „die da unten“ ablehnt, schlicht populistisch punkten? Oder hat sie die Übersicht verloren? Verantwortliches Handeln sieht jedenfalls anders aus. ERICH RATHFELDER