Debatte Burkas in Frankreich: Der intolerante Laizismus

Ins Schwimmbad mit Burkini? Nicht in Frankreich. Das heißeste Sommerthema im Geburtsland des Laizismus ist der Ganzkörperschleier muslimischer Frauen.

Mit der Französischen Revolution von 1789 bekam die Religion den Status einer Privatsache. Es war die Geburtsstunde des Laizismus. Bis dieser Staatsdoktrin wurde, dauerte es allerdings noch über hundert Jahre.

Napoleon schloss 1801 mit Papst Pius VII. ein Konkordat, dem ein Jahr später die "organischen Artikel" folgten, mit denen Kirche und Staat nach dem Zerfall des Staatskirchentums und der revolutionären Enteignung der Kirche einen Weg zu friedlicher Koexistenz fanden. Der beiderseits ungeliebte Kompromiss zwischen "dem freien und dem katholischen Frankreich", wie sich der Schöpfer des "Code Napoléon" 1802 ausdrückte, hielt bis 1905.

Bereits nach dem Vereinsgesetz von 1901 mussten sich Ordensgemeinschaften in Frankreich genehmigen lassen. Im Jahr 1904 erließ die Regierung ein generelles Lehrverbot für die Mitglieder aller Orden. Der Premierminister Émile Combes nutzte ein Geplänkel bei der Ernennung von Bischöfen, um den Abbruch der Beziehungen mit Rom herbeizuführen und seinen Wunsch zu verwirklichen - ein Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat, das am 11. Dezember 1905 in Kraft trat.

Rudolf Walther lebt als Journalist in Frankfurt am Main. Er arbeitet für deutsche und schweizerische Zeitungen. Zusammen mit Werner Bartens und Martin Halter schrieb er das "Letzte Lexikon" (Eichborn).

So wie sich der Republikanismus bewährte, um die rechtliche Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz durchzusetzen, so bewährte sich der Laizismus zur Sicherung der Neutralität des Staates in Religionsfragen und der Religionsfreiheit aller.

Sobald jedoch der Laizismus als Waffe eingesetzt wird, um eine missliebige Religion zu diskriminieren, agiert er nicht anders als der religiös inspirierte Fundamentalismus: intolerant. Die in Frankreich unter der Fahne des Laizismus geführte Kampagne gegen den Islam begann vor über zehn Jahren mit den Kopftuchdebatten. An deren Ende stand ein Formelkompromiss, wonach das Tragen "ostentativer religiöser Zeichen" in Schulen verboten wurde.

Was ist ein ostentatives Zeichen? Ein Kreuz auf der Brust eines katholischen Schülers, eine Kippa auf dem Kopf eines jüdischen Schülers oder nur ein Kopftuch auf dem Kopf eines muslimischen Mädchens? Der Eingriff des nur scheinbar neutral-laizistischen Staates in die Kleiderordnung entfachte zahlreiche Konflikte und brachte die Schuldirektoren in eine ungemütliche Lage. Sie müssen jetzt die Grenzen ziehen zwischen erlaubten und unerlaubten religiösen Zeichen.

Einen völlig unnötigen Streit brach jüngst Staatspräsident Nicolas Sarkozy vom Zaun. Völlig ohne Not stellte er fest: "Das Problem der Burka ist kein religiöses Problem. Es ist ein Problem der Freiheit und der Würde der Frau. Es ist kein religiöses Zeichen, es ist ein Zeichen der Unterwerfung, es ist ein Zeichen der Erniedrigung. Ich möchte feierlich erklären, dass die Burka in Frankreich nicht erwünscht ist."

Vor Sarkozy machte der kommunistische Abgeordnete André Gerin die Burka zum vermeintlich politischen Thema. Er trommelte 57 andere Abgeordnete zusammen, die einen Antrag einreichten, mit dem sie verlangten, dass eine Untersuchungskommission zum Thema "Burka" eingesetzt werde. Zum Zeitpunkt, als der Antrag gestellt wurde, kannte niemand die Zahl der Burkaträgerinnen in Frankreich. Vergangene Woche wurde die Debatte erneut angeheizt. Ein Bademeister hatte einer Burkini-Trägerin den Eintritt in ein Schwimmbad in der Nähe von Paris verweigert. Diese hatte Anzeige wegen Diskriminierung erstattet.

Wieder einmal wird ein absolut zweitrangiges Problem zur Staatsaffäre frisiert. Es ist Wasser auf die Mühlen jener Medien und politischen Strömungen, die Burka und Islam bewusst gleichsetzen, was nur noch überboten wird von jenen, die in jedem Muslim einen Gotteskrieger sehen. Der Ganzkörperschleier ist nicht "der" Islam, sondern das Kostüm einiger Gruppen, darunter einer Sekte mit paradoxerweise ursprünglich fortschrittlichem Programm.

Die Salafiyya-Bewegung plädierte im 19. Jahrhundert für eine Rückbesinnung auf die Religion der Alten angesichts von Säkularisation und Verfälschung des Islams durch den Kolonialismus. Die Salafiyya war aber nicht reaktionär, sondern sah den Grund für die Rückständigkeit und Abhängigkeit der muslimischen Länder in der Degeneration des Islams. Im 20. Jahrhundert spaltete sich die Salafiyya in zwei Strömungen - eine religiös-konservative und eine politisch-fundamentalistische, die mit dem Islam so viel zu tun hat wie die christliche Kreuzzugsideologie oder der "Krieg gegen den Terrorismus" von George W. Bush mit der Bergpredigt.

Der Staat und die Kleider

Die religiös-konservative Strömung vertritt sektiererische Lesarten des Islams und diktiert ihren Anhängern rigide Kleidervorschriften. Soweit die Sekte nicht weitergeht, haben Staat und Politik sie hinzunehmen wie viele andere auch.

Die Kleiderordnung ist keine Staatsangelegenheit. Mit der Kampagne gegen die Burka, die in Frankreich jetzt rollt, droht aber, dass die Grenze überschritten wird zwischen einem religiös neutral handelnden Staat und einem Staat, der Islamophobie und Ethnozentrismus befördert.

Das Argument, man wolle mit dem Verbot der Burka doch nur verhindern, dass sich Teile der Gesellschaft in Parallelgesellschaften einnisteten, ist keines. Denn religiöse oder politische Gruppen, die es darauf anlegen, sich selbst aus der Gesellschaft auszuschließen, sind nicht mit Verboten, sondern allenfalls mit Angeboten zu gewinnen. Zwangsintegration ist nicht nur fragwürdig, sondern funktioniert nicht. Mit Verbotsdrohungen gegen (vielleicht) religiös motivierte Kleiderordnungen riskiert der Staat viel.

Der französische Geheimdienst (!) hat jetzt Zahlen nachgereicht. Demnach gibt es in Frankreich genau 357 Burka-Trägerinnen. Wenn die staatliche Seite dieses marginale Problem politisch und damit auch medial hochspielt, befeuert sie nur die ohnehin großen Spannungen und Konflikte in den französischen Vorstädten.

Ohne Zweifel wirft das Tragen des Ganzkörperschleiers heikle Fragen auf. Zum Beispiel die, wie die Gesellschaft die Rechte der Frauen schützen kann, ohne dabei die Toleranz gegenüber abweichenden Haltungen preiszugeben. Wenn jedoch der Staat vorprescht und das Tragen der Burka im Handstreich zum gesellschaftlichen Großproblem erklärt, begeht er politische Brandstiftung.

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