JÜRGEN GOTTSCHLICH ZUR DEBATTE UM DEN VÖLKERMORD AN DEN ARMENIERN
: Beitrag zur Politikverhinderung

„Völkermord“ ist zu einem politischen Kampfbegriff verkommen

Es hat schon etwas von einem Ritual. Alljährlich im Vorfeld des 24. April, wenn die Armenier Tod und Vertreibung ihrer Vorfahren aus dem damaligen Osmanischen Reich beklagen, beginnt in den USA die Debatte um die Qualifizierung der Tragödie als Völkermord oder eben nicht. Motor der Debatte ist die gut organisierte armenische Diaspora, deren Hauptanliegen darin besteht, möglichst viele Regierungen und Parlamente weltweit dazu zu bringen, den „Genozid“ an den Armeniern anzuerkennen.

Die Frage, ob dies geschieht oder nicht, hat aber nur noch wenig damit zu tun, ob das, was damals geschah, in Wahrheit ein Völkermord war. Es geht um die Durchsetzung politischer Interessen hier und jetzt. Der „Völkermord“ ist zu einem Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung verkommen. Als Erstes wird damit Obama in Verlegenheit gebracht. Stimmt er zu, bringt es seine Außenpolitik in Bedrängnis, für die er die Türkei im Irak und Iran, in Afghanistan und im Nahen Osten braucht. Lehnt er ab, kann man ihn zum „feigen Realpolitiker“ abstempeln. Vor allem aber unterstützt die Völkermorddebatte die Hardliner in Armenien, die anders als die Regierung eine Annäherung an die Türkei verhindern wollen. Sie träumen von einem „Westarmenien“ und wollen, dass die Osttürkei einem neuen Großarmenien angegliedert wird. Es geht aber auch um Reparationen, womöglich um viel Geld.

Die Strategie, die Türkei an den Pranger zu stellen, mag vor zehn Jahren, als Ankara sich noch einfach stur stellte, seine Berechtigung gehabt haben. Jetzt, wo es darum geht, einen bereits unterzeichneten Vertrag zur Versöhnung beider Länder in den jeweiligen Parlamenten zu ratifizieren, ist die Völkermord-Rhetorik ein Beitrag zur Politikverhinderung, der Fortschritte erschwert, statt der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.

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