Braucht Deutschland die Siesta?
JA

PAUSIEREN Wenn im Sommer die Mittagssonne fast senkrecht vom Himmel brennt, wird man träge und dösig. Wie schön wäre es da, sich einfach auf die Seite zu legen und ein Nickerchen zu machen

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.Immer am Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/sonntazstreit

Jürgen Zulley, 65, ist Professor für Biologische Psychologie in Regensburg und Schlafforscher

Mittags rutschen wir alle mehr oder weniger in ein biologisches Tief, auch ohne Mittagessen. Eine Siesta war auch in Deutschland schon immer die geeignete Gegenmaßnahme, bis die Industrialisierung sie hinweggefegt hat. Maschinen brauchen keine Pausen. Wir aber schon. So gegen 13 Uhr lässt unsere Leistungsfähigkeit nach, wir machen mehr Fehler und die Stimmung sinkt. Das geht zwar vorüber, aber ohne Mittagsschlaf sind wir anschließend nicht so leistungsfähig wie mit. Denn: Eine Mittagsruhe überbrückt eine leistungsarme Zeit mit einem erhöhten Risiko für Fehler, und wir reagieren anschließend schneller, sind aufmerksamer, unser Gedächtnis ist besser und wir sind auch noch besserer Laune. Dies aber alles nur, wenn die Mittagsruhe kurz ist, so zwischen 10 und 30 Minuten. Schläft man länger, kehrt sich alles ins Gegenteil um, und den Rest des Tages kann man so ziemlich vergessen. Aber nach einer kurzen Siesta steigt unsere Leistungsfähigkeit um 35 Prozent und wenn wir es regelmäßig tun, sinkt unsere Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich. Also brauchen wir eine Siesta? Ja. Wir könnten zwar auch ohne leben, aber wie!

Annelie Buntenbach, 56, ist Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Ja. Auch wenn die Siesta in vielen südeuropäischen Staaten nicht mehr selbstverständlich ist, weil auch dort in klimatisierten Räumen gearbeitet wird, ist sie auf jeden Fall gesund. Ein kurzer Mittagsschlaf senkt zum Beispiel das Herzinfarktrisiko und sorgt für neue Energie. Unternehmen wie BASF, Hornbach oder die Stadtverwaltung in Vechta stellen dafür Räume zur Verfügung und profitieren von ausgeruhten Mitarbeitern. Um mit dem wachsenden Druck bei der Arbeit zurechtzukommen, ohne krank zu werden, benötigen wir aber auch noch weitere Maßnahmen. Wenn sich hier nichts ändert, nehmen die psychischen Erkrankungen weiter zu und die neue Volkskrankheit heißt „Burn-out“. Wir brauchen eine Debatte zur wachsenden Arbeitsintensität durch moderne Kommunikationsmittel. Die Beschäftigten müssen besser geschützt werden, zum Beispiel gegen die E-Mail-Flut oder Belastungen im Callcenter. Überlange Arbeitszeiten oder unsichere Zukunftsaussichten führen zu mehr Krankheiten und großen gesellschaftlichen Kosten. „Powernapping“ allein reicht daher nicht.

Maria Wonisch, 40, ist Leiterin des Gesundheitszentrums der Steiermärkischen Sparkassen

In der Steiermärkischen Sparkasse ist Powernapping seit vielen Jahren ein Thema. Im Headquarter in Graz stehen den MitarbeiterInnen eigene Räumlichkeiten mit Ruheliegen und Massagesesseln sowie Entspannungsmusik zur Verfügung. An den knapp 200 dezentralen Standorten haben die MitarbeiterInnen – je nach den räumlichen Gegebenheiten – die Möglichkeit, sich im eigenen Büro, in Besprechungs- oder Sozialräumen zu einem erholsamen Kurzschlaf zurückzuziehen. Begleitende Informationen über „richtiges“ Powernapping stehen im Intranet zur Verfügung. Der Effekt ist eine dreidimensionale Win-win-win-Situation: Ausgeruhte MitarbeiterInnen haben eine höhere Arbeitszufriedenheit und bringen folglich mehr und bessere Leistungen. Dadurch ist es möglich, die Zufriedenheit der KundInnen langfristig auf einem hohen Niveau zu halten. Dies führt zu nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit und zum Erfolg des Unternehmens.

NEIN

Erwin Heller, 64, ist Präsident des Vereins zur Verzögerung der Zeit und Rechtsanwalt

Eine Schnapsidee fürs Sommerloch. Siesta war mal in Ländern mit hohen Mittagstemperaturen eine vernünftige Idee, die heißesten Stunden mit Muße oder Schlafen zu verbringen. Und das Leben taktete sich mit: Arbeit morgens und abends, wenn’s erträglich war. Abendessen kurz vor Mitternacht, Volksfestbeginn nachts um eins. Aber die spanische Siesta ist längst verkommen: mittags Fußball und Stierkampf im Fernsehen statt Ruhe; werbeträchtige Zeiten. Den Rest haben die Globalisierung und der Wahn der Allerreichbarkeit geschlachtet – es lebe die Klimaanlage. Spanische Temperaturen werden wir in Deutschland nicht erreichen, auch nicht mit globaler Erwärmung. Führen wir probehalber die Siesta ein. Was passiert? Länger Mittag machen: Sind wir nicht sowieso zu fett? Nach Hause, vier Fahrten zur Arbeit täglich statt zwei: Die Hälfte der Siesta geht mit Fahrerei drauf; und der Energieverbrauch katapultiert uns endgültig an den Klimaschutzzielen vorbei. Sollen die Leute in der Firma bleiben? An ihrem geliebten Arbeitsplatz? Oder in der Kantine? Den Vorschlag, Ruheräume einzurichten, haben die allerwenigsten Firmen umgesetzt. Oder sollen die Menschen … shoppen gehen? Das erklärt, woher die Idee kommt! Entspannung im Einkaufszentrum. Das ist unverantwortlich. Es würde ein Patchwork-Tag entstehen, der die Rhythmen und das Zusammensein der Familien endgültig zerstört. Papi arbeitet spät – da muss Mami wohl wieder die Kinder ins Bett bringen …

Juri, 5, geht in eine Kindertagesstätte in Stuttgart und spielt gerne mit der Carrerabahn oder Memory

Mittagsschlaf ist was für Weicheier. Das weiß ich schon lange. Jetzt bin ich ja schon Viertel vor sechs, aber meine Mama hat erzählt, dass ich keinen Mittagsschlaf mehr mache, seit ich halb drei war. Weil, wenn ich die Augen zumache, bin ich ja weg. Und wenn ich weg bin, kann ich ja nicht mehr spielen. Meine Erzieherinnen haben früher gesagt, alle Kinder machen jetzt Mittagsschlaf, aber das stimmt nicht. Weil die Erde sich ja dreht. Und wenn bei uns Mittag ist, ist in Australien Nacht. Da machen die Kinder in Australien also keinen Mittagsschlaf, sondern Nachtschlaf. Und den mach ich auch. Eben wenn dann bei uns Nacht ist. Das finde ich gerecht. Mein kleiner Bruder heißt Jes und ist erst Viertel vor zwei. Der schläft noch mittags. Und das finde ich gut. Weil dann kann ich ganz alleine mit meinen Eltern spielen. Und die haben sich ihren Mittagsschlaf auch längst abgewöhnt. Wegen mir.

Marion Terasa, 50, ist Künstlerin in Schleswig-Holstein und hat die Frage auf taz.de beantwortet

Ich frage mich, wie eine Siesta von sagen wir mal drei Stunden in Deutschland aussehen würde. Erstens fahren dann wahrscheinlich alle nach Hause, um dort Mittag zu essen. Die arme Umwelt! Zweitens legen wir uns dann am Arbeitsplatz schlafen, aber wo? Unterm Tisch? Auf der Werkbank? Irgendwie nicht gemütlich und wahrscheinlich auch nicht erholsam. Drittens könnte man sich noch irgendwo im Schatten unter einen Baum setzen. Das macht vielleicht ein paar Tage Spaß, aber dann wird’s langweilig. Es fehlt einfach an Angeboten, mit denen man eine lange Mittagspause ausfüllen könnte, und so macht das in meinen Augen keinen Sinn. Auch deswegen nicht, weil man noch länger von zu Hause weg ist und weniger Zeit mit der Familie hat. Siesta? Nein danke!