Süßlich duftende, leicht abschweifende Texte

CANNABIS Wie Helmut Höge seine Artikel vom „Diktat der Stringenz“ befreit

Zuerst ist da nur dieser Duft. Dann fällt der feine Süßnebel auf, der sich unmerklich über die Schreibtische im vierten Stock gelegt hat. Auf der Suche nach dem Urheber schweift der Blick. Die Praktikantin mit den Dreadlocks und dem Batik-T-Shirt? Unmöglich, das traut die sich nicht. Nicht um diese Uhrzeit, unmittelbar nach der Morgenkonferenz. Hm. Etwa der Redakteur mit dem Bauchansatz und dem „Motörhead“-T-Shirt da drüben?

Nein, der streut sich höchstens mal heimlich Speed in die Bionade. Doch nicht etwa der Herr am Computer dort hinten in der Ecke, der mit seinen silbernen Haaren und im distinguierten Anzug wirkt wie ein freundlicher KGB-Killer im Ruhestand? Doch, genau der. Es handelt sich um Helmut Höge. Lässig streift er die Asche in eine alte Kaffeetasse und tippt weiter, die dicke Tüte glimmt dabei zwischen seinen schlanken Fingern weiter.

Einmal fing er meinen sorgenvollen Blick auf und forderte fürsorglich: „Mensch, rauch erst mal einen, dann entknittert sich auch dein Gesicht!“ Ein andermal bat ich ihn, mir etwas von seinem zauberhaften Zeug mitzubringen – und begegne ihm früh auf dem Weg zur Arbeit in der noch verschlafenen U-Bahn. Höge lautstark, über vier Sitzreihen hinweg auf seine speckige Ledertasche klopfend: „Arno! Ich habe deine DROGEN dabei!“ Höge ist, wenn man so will, in diesen Dingen von altem Adel. Er macht keinen Hehl. Und er kennt den Kodex der Kiffer, die Etymologie des Wortes „Joint“. Nie entzündet er eine Tüte, ohne zugleich eine Einladung auszusprechen. Selten raucht er am Platz, meistens zieht er sich dafür rücksichtsvoll ins Treppenhaus zurück. Dort ergreift er friedlich seine baulichen Maßnahmen, bevor er sich mit gezücktem Bleistift einem Buch widmet. Oder, lieber noch, einem luziden Gespräch. Danach tippt er weiter an seinen Texten, als wäre nichts gewesen, und erhellt den Redaktionsalltag mit überfallartig aus dem Handgelenk geschüttelten Aperçus.

Bekifft zu schreiben, das ist nicht jedem gegeben. Da formuliert man feurig drauflos, nimmt jede noch so entlegene Idee mit rein, vertieft begeistert Nebensächlichstes, fächert bald ganze Gedankenbündel zu multidimensionalen Labyrinthen aus, die dem Fiebertraum eines M. C. Escher entsprungen sein könnten, bevor man am Ende resigniert vor eine Wand läuft, verirrt in den eigenen Gedankengängen. Auf solche Probleme angesprochen, kann Höge nur den Kopf schütteln. Er schätze das Haschisch, weil es seine Gedanken „entfokussiere“ und vom „Diktat der Stringenz“ befreie. Seinen Texten liest man das an. Sie duften.

ARNO FRANK