urdrüs wahre kolumne
: So grausam der Markt

Nachdem eine rappelvolle Hamburger Innenstadt am vergangenen Sonntag dies Babylon kollektiver Einkaufsraserei dem Schöpfer für die nächste Große Manndränke nachdrücklich empfahl, mahnt jetzt auch der örtliche Erzbischof Werner Thissen: „All die Ausnahmen sind den Verlust an Menschlichkeit auf Dauer nicht wert.“ Mahnen und Warnen reicht da nicht mehr, Bruder Werner – wie wäre es mit Androhung der Exkommunikation? Besprechen wir dies doch mal, ganz im ökumenischen Geiste, im neuen Biergarten des Michel!

Bremen indes war am Tag des Herrn in Geiselhand der Marathonis, die mit der öffentlichen Präsentation ihres beschränkten Lebenssinns brave Nutzer von Bus und Straßenbahn in Umleitungen und Verspätungen trieben, obwohl sich ja auf den renaturierten Waller Müllbergen auch schön schnaufen ließe. Reiner Zufall trieb mich morgens zum trübsinnigen Startplatz auf der Bürgerweide, wo ein mutmaßlicher Aktionssprecher der Bürgerparktombola versuchte, so etwas wie Euphorie zu initiieren, doch obwohl die Stadtwerke Bremen jede Menge Stimmungsklappern und aufblasbare Klatschhände verteilen ließen, blieb der Stimmungspegel irgendwo zwischen Beisetzung und Geschäftsordnungsdebatte: Macht gerne weiter so – aber bitte, ohne andere zu behelligen!

Wer von den Regierenden Bremens ist eigentlich schweins genug, die Millionen-Subventionen für das Reiche-Leute-Spielzeug Rennbahn und Pferdesport gegenüber jenen zu rechtfertigen, die täglich entscheiden müssen, ob sie ihren Kindern warme Socken kaufen oder doch Nudeln und H-Milch? Pro Besucher Zuschüsse von über 30 Euro bei jedem von neun Rennen – wer ist da der Sozialschmarotzer?

Auf den Stufen des Hundertwasser-Bahnhofs zu Uelzen versucht eine durchnässte Dame aus einem verstreuten Hippiestamm mich zum Kauf eines Buches aus ihrem Weidenkorb zu bewegen. Weder eine Anleitung zum Filzen noch das Fitness-Buch eines ehemaligen grünen Außenministers sprechen mich an – und wem könnte ich schon ein Handbuch „Mandalamalen für Kinder“ schenken? Immerhin entdecke ich dann doch ein ziemlich beschmiertes Pixi-Heft über die Abenteuer irgendeines Hündchens. Will es für einen Euro mitnehmen, um es im Zug einem nörgelnden Kleinkind zu schenken, aber nix da: „Das ist aus der ursprünglichen Serie. Kostet im Internet bis zu 20 Euro“, bedeutet sie mir nun, „da muss ich mindestens acht für haben“. Und bleibt auf ihrer Ware sitzen. So grausam ist Markt!

Heiß und innig liebe ich die Operette, träumte stets von einer Karriere als Buffo im Stadttheater Hildesheim und erfahre jetzt, dass das längst dem Mjusical verschworene Operettenhaus an Hamburgs Reeperbahn künftig den Vornamen TUI tragen soll: Wer so was macht, trinkt Astra auch mit Strohhalm, geht mit Opernglas zum Fußball und pinkelt kichernd in des Bettlers dargereichten Hut, weiß ziemlich sicher ULRICH „Joijoi Mama“ REINEKING

ULRICH REINEKING würde großes Unrecht getan, bezeichnete man ihn als Anhänger des Marktes.