Akteneinsicht abgelehnt

Kritische Wissenschaftler sollen die Unterlagen zum atomaren Endlager Asse nicht einsehen können – das Papier sei zu schwer, so die offizielle Begründung des Bundesforschungsministeriums

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach kürzlich von einem „GAU“: Das Atommülllager Asse droht abzusaufen und einzustürzen. Der Grund sind Laugenzuflüsse aus unbekannter Quelle, täglich sickern rund 13 Kubikmeter in die Grube. Auch das niedersächsische Umweltministerium hält es für möglich, „dass der Salzlösungszutritt in Zukunft erheblich ansteigt und dann nicht mehr aufgefangen und kontrolliert werden kann“. Dies könne zu einer „begrenzten Mobilisierung von Schadstoffen“ führen. Im Klartext: Es kann zur Freisetzung von Radioaktivität kommen. Der Asse-Betreiber, das Helmholtz-Zentrum in München, möchte die Grube fluten. Expertenkommissionen sollen nun bis Mitte 2008 Alternativen prüfen, etwa die Rückholung der Fässer oder eine Verfüllung des Bergwerks mit Spezialbeton. RP

VON REIMAR PAUL

Kaum entfacht, kommt die Debatte über einen sicheren Verschluss des Endlagers Asse II bei Wolfenbüttel schon wieder ins Stocken. Atomkritische Wissenschaftler beklagen, sie bekämen nur eingeschränkt Zugang zu wichtigen Unterlagen. Das Bundesforschungsministerium, Oberaufseher des Bergwerks, begründet den Dokumententzug mit der Fülle des Materials. Der Aktenberg sei zu dick, der Versand zu mühsam.

Asse-Betreiber ist das Helmholtz-Zentrum München. Das von Bundesforschungsministerium und Ländern finanzierte Forschungszentrum hatte Warnungen, das in den 1960er und 1970er Jahren mit rund 125.000 Atommüllfässern gefüllte Bergwerk könnte voll laufen und dadurch radioaktive Strahlung freisetzen, lange in den Wind geschlagen. Nun kann es den Helmholtz-Forschern mit der Schließung des Endlagers gar nicht schnell genug gehen: Die Ingenieure wollen die Grube mit einer von ihnen als „Schutzfluid“ bezeichneten Magnesiumchlorid-Lösung fluten und auf diese Weise stabilisieren.

Kritiker warnen vor einer solchen Maßnahme, da die strahlenden Abfälle dann nie mehr zugänglich und damit auch nie mehr kontrollierbar seien. Sie fordern stattdessen, dass alle Optionen für eine Schließung nach wissenschaftlichen Kriterien verglichen werden – auch das mögliche Ausbuddeln des Atommülls aus den Kammern des Salzstocks.

Das Helmholtz-Zentrum hat beim Land Niedersachsen eine Schließung nach dem Bergrecht beantragt, was weniger Öffentlichkeitsbeteiligung und Einspruchsmöglichkeiten bedeutet. Über diesen Antrag sowie über die Klage einer Anwohnerin dagegen ist noch nicht entschieden. Doch nach alarmierenden Medienberichten und wachsendem Druck von Anwohnern und Bürgerinitiativen haben Bundes- und Landesbehörden faktisch zugestimmt, dass die Betroffenen mitentscheiden. Seit Jahresbeginn ist in der Region ein kaum zu entwirrendes Netz von Kommissionen entstanden, die den Asse-Prozess begleiteten.

Wichtigstes Gremium ist die so genannte „Asse-Begleitgruppe“. Ihre zwölf stimmberechtigten Mitglieder kommen aus Kommunen, Parteien und Bürgerinitiativen. Drei atomkritische Fachleute dieser Gruppe, der Chemie-Professor Rolf Bertram und die Geologen Jürgen Kreusch und Ralf Krupp, sitzen zusätzlich in der „AG Optionenvergleich“, in der auch Vertreter des Bundesumweltministeriums und des Bundesforschungsministeriums mitarbeiten.

„Allen Mitgliedern wurde vollständige Akteneinsicht und damit gleiches Recht für alle versprochen“, sagte Bertram zur taz. Man habe so schnell wie möglich loslegen wollen und vom Betreiber die Unterlagen angefordert, denn: „Um beurteilen zu können, wie man das Endlager sicher schließt, müssen wir unter anderem wissen, was seit wann wo gelagert ist.“

Doch das sollen die drei kritischen Forscher nun nicht oder nur teilweise erfahren. Statt der angeforderten Dokumente aus München erhielten sie einen Brief aus Berlin. Die bestellten Dokumente hätten einen Umfang von mehreren tausend Seiten, heißt es in dem der taz vorliegenden Schreiben des Bundesforschungsministeriums: „Grob geschätzt über 5.000 mit einem Gewicht von rd. 40 kg!“ „Die Versendung eines derartigen Unterlagenkonvoluts wird als in keinem Fall zielführend angesehen.“

„So können wir nicht arbeiten“, schimpft Chemie-Professor Bertram. Das Schreiben sei ein krasser Verstoß gegen das vereinbarte Gleichheitsgebot – die Ministeriumsvertreter in der AG Optionenvergleich dürften die Unterlagen einsehen. „Da sind wohl einige gleicher als gleich“, sagt Bertram.

Die Begründung, der Aktenberg sei zu schwer, hält er für vorgeschoben. 5.000 Seiten entsprächen gerade mal dem Umfang von zwei Bänden gängiger Nachschlagewerke.