Der kleine Zampano

Eine Ära geht zu Ende: Mit Bernd Neumann wird heute in Bremen der dienstälteste CDU-Landeschef verabschiedet, den es je gab. Fast 30 Jahre amtierte er, und wäre da nicht rot-grün an der Macht – er würde sicherlich weitermachen

Die letzten 30 Jahre hat sich Bernd Neumann nichts zu Schulden kommen lassen, nicht als Parteichef der bremischen CDU, nicht in seinen sonstigen Ämtern. Nur einmal, 1977, da war er noch CDU-Fraktionschef in Bremen, da erzürnte ihn die Behandlung eines Erich Fried-Gedichtes in der Schule. „Sie stehen in der Tradition nationalsozialistischer Bücherverbrenner“, rief ihm der damalige Juso-Vorsitzende Henning Scherf im Parlament zu. Ja, antwortete Neumann, „so etwas würde ich lieber verbrannt sehen. Das will ich ihnen einmal ganz deutlich sagen“. Die Lehrergewerkschaft GEW schloss ihn daraufhin aus, zwei Jahre später war Neumann Landesvorsitzender seiner Partei. Mit Erich Fried hatte er sich da – via Radio – schon lange wieder ausgesöhnt. Und heute, als Kulturstaatsminister, da sagt er: Jede Relativierung des Nationalsozialismus wäre für ihn „ein Grund zum Rücktritt“. MNZ

VON JAN ZIER

Herr Neumann heißt mit Vornamen Bernd Otto, doch Freunde dürfen ihn „Bernie“ nennen. Etwa jene, denen er auch ein Akkordeonspieler ist, nicht nur der westpreußische Technokrat von der CDU mit dem stets korrekten Seitenscheitel. Helmut Kohl ist einer dieser Freunde des Kulturstaatsministers, seit langem schon, und vor allem: immer noch. Auch im Machtuniversum von Angela Merkel gilt er als einer der wichtigsten Wasserträger. Er hat es geschafft. Er ist in Berlin angekommen. Also kann er in Bremen gehen. Nach knapp 30 Jahren als CDU-Landeschef.

Ein Rekord, der Bestand haben dürfte. „Eine solch lange Ära wird es in keinem Landesverband je wieder geben“, sagt selbst ein innerparteilicher Dissident wie der Ex-Senator Jens Eckhoff, der einst Neumanns Kronprinz war. Und ihn lieber Bernd nennt.

So ganz geht einer wie Neumann natürlich nicht, ein Büro im Bremer CDU-Haus behält er sich weiterhin vor. An der Türe wird „Ehrenvorsitzender“ stehen. Als solcher wird er auch künftig eine Rolle spielen, die „nicht zu unterschätzen“ ist – sagt Eckhoff. Der muss es wissen, war er doch selbst Fraktionschef unter Neumann. Fast 30 Jahre lang gab es hier keine Sitzung des CDU-Landesvorstandes, an der Neumann nicht teilgenommen hätte, fast 30 Jahre lang ist hier praktisch überhaupt nichts passiert, ohne dass er es wusste, fast 30 Jahre lang hat er hier versucht, aus seiner CDU eine Regierungspartei zu machen. In der Großen Koalition.

Schon das direkte Duell gegen Hans Koschnik hat er einst verloren, „leider“, wie er noch heute betont, später, mit anderen Spitzenkandidaten dann gegen Henning Scherf. Und 2007, mit dem jetzigen Fraktionschef Thomas Röwekamp. Der wird ihn heute beerben: Er ist der einzige Kandidat. „Man kann immer nur mit denen arbeiten, die zur Verfügung stehen“, sagt Neumann. Was er noch habe tun sollen, um einen Nachfolger zu generieren?

Wer eine Chance hatte in all den Jahren, der wurde auch etwas in Bremen, bekam Staatsämter übertragen, blieb dabei aber stets „sein Kandidat“. Auch in der SPD sprachen sie so. Innerparteiliche Opposition kennt Neumann praktisch nicht, stets haben sie ihn mit realsozialistischen Ergebnissen wiedergewählt. Hätten Sie auch heute: Er sei „aufgefordert“ worden, weiterzumachen. „Das tat gut.“ Doch das Amt in Berlin, sagt er, lasse sich auf Dauer nicht mit dem Landesvorsitz vereinbaren.

Das des Bundestagsabgeordneten offenbar schon. Er will 2009 wieder kandidieren, ließ er verlauten. Und überhaupt – seine Prioritätensetzung war bis vor kurzem noch eine andere. Bestünde die Große Koalition in Bremen noch – Neumann bliebe CDU-Chef. „Das ist definitiv“, sagt Eckhoff. Es ist noch nicht lange her, da erklärte Neumann, drei Jobs zu haben: CDU-Landeschef, Abgeordneter, Staatsminister. In dieser Reihenfolge.

Noch Jahre, nachdem der gelernte Lehrer 1987 in den Bundestag einzog, kam er fast jeden Freitag nach Bremen zurück, um von dort aus bissig die hiesige Politik zu kommentieren – und gegen Henning Scherf zu polemisieren. Jener Scherf, mit dem er bereitwillig 12 Jahre lang koalierte, jener Scherf, für den er heute immer noch ein Kompliment übrig hat, weil er verlässlich war, weil er „stets auch die Interessen des Koalitionspartners im Blick hatte“.

Seit der letzten Bürgerschaftswahl hat diese Verbindung nun ein Ende, Bremen wird rot-grün regiert, und Neumann – der Wahlverlierer – hat das zunächst gewohnt scharfzüngig kommentiert, das Feld dann aber mehr und mehr Röwekamp überlassen. Der irrt darauf noch herum. Die CDU habe sich in der Opposition noch lange nicht gefunden, sagt Eckhoff. Röwekamp werde schon noch in das Amt „hineinwachsen“, sagt Neumann. Und dass man seinen Nachfolger nicht gleich an ihm messen dürfe.

Neumann, unter Kohl einmal stolzer Forschungs-Staatssekretär, kennt alle politischen Winkelzüge, weiß, wie man sich Mehrheiten organisiert. Er ist ein patriarchaler Machtpolitiker. Operiert aber vorzugsweise mit Finanzbudgets, Stellenplänen und Rahmenrichtlinien, wie die Frankfurter Allgemeine es formulierte.

Das prädestinierte ihn nicht eben für das Amt als Kulturstaatsministers, es sei denn, man hält jenes für eher überflüssig. Böse Gerüchte behaupteten, ihn qualifiziere vor allem sein Akkordeonspiel. Sonst wenig, außer vielleicht eine Funktion als Obmann im Kultur- und Medienausschuss des Bundestages. Doch allen Unkenrufen zum Trotz: Er hat finanziell einiges bewegt, etwa 180 Millionen Euro zugunsten der Filmförderung.

Und auch an Bremen hat er gedacht: Den Anbau der Kunsthalle finanziert der Bund zu einem Drittel mit, das gerade statt findende Literaturfestival „Poetry on the Road“ hat er finanziell unterstützt, das Tanzfilminstitut gerettet. Und die Hoffnung lebt: „Ich will der am längsten amtierende Kulturstaatsminister in Deutschland werden“, kündigt Neumann forsch an. Wer ihn als Parteichef kennt, der mag das als Drohung verstehen. Er stehe jedenfalls noch „voll im Saft“, verkündete er der 66-Jährige jüngst.