Gutachterstreit im Morsal-Prozess

Der Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen eine Gutachterin könnte das Verfahren zum Platzen bringen

Im Prozess um den so genannten „Ehrenmord“ an der Deutsch-Afghanin Morsal Obeidi ist kurz vor Ende der Gutachterstreit wieder voll entbrannt. Staatsanwalt Boris Bochnik brach am Freitag die Befragung der psychiatrischen Gutachterin Marianne Röhl nach wenigen Minuten abrupt ab, um gegen sie einen weiteren Befangenheitsantrag aus der Tasche zu ziehen.

Schon am vierten Verhandlungstag hatte Bochnik gegen Röhl interveniert, nach dem das Landgericht Hamburg den Gutachter der Anklagebehörde wegen Befangenheit abbestellt hatte. Bochnik wirft Röhl Voreingenommenheit und fachliche Inkompetenz vor. Sie stütze ihre Befunde auf Vermutungen und Einschätzungen. Röhl geht in ihrer Begutachtung des angeklagten Bruder Ahmad-Sobair Obeidi, der im Mai vorigen Jahres seine 16-jährige Schwester mit 23 Messerstichen getötet hatte und wegen Mordes angeklagt ist, davon aus, dass der 24-Jährige „vermindert schuldfähig“ sei. Ihrer Auffassung nach leidet er unter einer „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ in Verbindung mit Steuerungsdefiziten, die sich in Gewalttätigkeit bemerkbar mache. Die Erwiderung Morsals: „Das geht dich einen Scheißdreck an“, auf Vorhalte ihres Bruders wegen ihrer Bekleidung und ob sie „anschaffen“ gehe, habe bei Ahmad zum „explosionsartigen Zusammenbruch“ des Persönlichkeitsgefüges und zum Totschlag im Affekt geführt.

Um die Bedenken Bochniks auszuräumen, ließen die Richterinnen sich von der Gutachterin auch die Version eines geplanten Mordes theoretisch durchspielen, damit am Donnerstag über die Befangenheitsanträge entschieden werden kann. „Würden wir den Anträgen stattgeben“, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen, „wäre der Prozess damit aus“. Im Klartext: Geplatzt – sonst kann die Staatsanwaltschaft mit den Plädoyers beginnen. KVA