Politiker ins Heim

SEITENWECHSEL Diakonie und Kirchen in Niedersachsen laden Bundestagskandidaten zum Praxis-Check ins Pflegeheim ein. Anstoßen wollen sie damit vor allem eine Debatte über die Zukunft der Pflege

Die Politiker können sich kaum mit Blankphrasen aus der Affäre ziehen

Niedersachsens Bundestagskandidaten sollen dem Wähler ins Auge blicken. Und zwar da, wo es richtig wehtut: im Altenpflegeheim. Sie sollen spüren, was Kostendämpfungsgesetze, Dumpinglöhne, Niedrigpauschalen oder Bürokratie anrichten. So funktioniert die Kampagne „Stark für die Pflege“, die das Diakonische Werk, der Niedersächsischen Evangelische Verband für Altenhilfe und ambulante pflegerische Dienste und die Landeskirchen gestern auf den Weg gebracht haben. Die Begegnung der besonderen Art wird dabei gefilmt und ins Netz gestellt, so dass die Abgeordneten in spe zwar ihr soziales Profil schärfen, sich aber kaum mit Blankphrasen aus der Affäre ziehen können.

Was für die Diakonie dabei herausspringt, umriss Christoph Künkel, Chef des Diakonischen Werkes Niedersachsen, so: Die Politik müsse nachdenken, was für eine Pflege sie will – „Qualität, die die Würde der Menschen wahrt oder das Gitterbett“. Obwohl man alle Einsparungspotenziale ausgereizt habe, seien Wohlfahrtsverbände, die „nicht gewinnorientiert arbeiten“, unter heutigen Bedingungen „nicht konkurrenzfähig“, so Künkel – schon gar nicht in Niedersachsen: Hier kontrollieren private Anbieter 60 Prozent des Marktes, bezahlen ihr Personal weit unter Tarif und sorgen so dafür, dass im Bundesvergleich die niedrigsten Pflegesätze gelten.

Das alles sei politisch gewollt, sagte Künkel, gehe aber zu Lasten von Betroffenen und Personal, wie die Bundestagskandidaten schnell feststellen würden. Deshalb fordere man „eine öffentliche Diskussion über den Umgang mit alten Menschen“, die Anpassung der Vergütung „auf das Niveau anderer Bundesländer“, weniger Bürokratie und die Einführung eines Mindestlohnes in der Pflege von 10,50 Euro.

Mit Leer und Hameln-Pyrmont-Holzminden konnte Kampagnenleiter Helge Johr schon zum Auftakt zwei Wahlkreise präsentieren, in denen das komplette Parteienspektrum zur Heimbegehung antritt. MQ