HÄUSLICHE PFLEGE: Wenn die Pflege zur Bürde wird

Zwei Drittel aller Bedürftigen werden zu Hause gepflegt, Tendenz steigend. Es sind vor allem Frauen, die sich um ihre bettlägerigen Angehörigen kümmern.

Hat immer Zeit: Dieser Pflegeroboter soll älteren und kranken Menschen Arbeit im Haushalt abnehmen. Bild: dpa

15 Jahre lang hatte ein Rentner aus Hamburg seine Frau zu Hause gepflegt. Wahrscheinlich aus Überforderung erstickte der 75-Jährige Heinrich L. am vergangenen Wochenende die bettlägerige Ehefrau und versuchte anschließend, sich vor einen Bus zu werfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Totschlags gegen den Mann. Solche Fälle sind selten. Sie lassen aber ahnen, wie belastend die Pflege von Angehörigen sein kann.

Gut zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt, viele davon ohne die Unterstützung durch Pflegedienste. Der Hamburger Sozialbehörde zufolge sind es fast immer Frauen, die sich um die Pflegebedürftigen in den eigenen vier Wänden kümmern. Vor allem die jüngeren, berufstätigen Frauen leisten dabei einen täglichen Spagat zwischen Arbeit und Pflege - oft zu Lasten der eigenen Karriere, heißt es in der aktuellen Rahmenplanung für die Pflege in Hamburg. Durchschnittlich 73 Prozent der Pflegepersonen sind Frauen, sagt die Sprecherin der Sozialbehörde. Demzufolge sind Männer seltener bereit oder in der Lage, sich täglich um einen schwer kranken Angehörigen zu kümmern.

Frauen geben ihren Job auf

Dabei steigt die Zahl der Pflegebedürftigen seit Jahren kontinuierlich an. Werden in Hamburg im Jahr 2010 rund 29.600 Menschen zu Hause gepflegt, rechnen die Demographen für 2025 mit einer Zahl von 35.200. In Niedersachsen lebten 2007 ebenfalls mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen zu Hause. Davon bekamen über 100.000 Menschen ausschließlich Pflegegeld; das heißt, dass die Angehörigen die Hilfe ohne ambulante Dienste selbst organisieren. In Schleswig-Holstein werden über 30.000 Menschen allein von ihren Angehörigen gepflegt.

Die Belastung für die Pflegenden ist dabei besonders hoch - und sie wächst mit steigendem Pflegegrad. Die Schwerstkranken brauchen Hilfe beim Toilettengang, beim anziehen und essen. Vor allem Frauen geben zugunsten dieser aufreibenden Betreuung ihren Job auf. "Es ist eine Frage der Rollenverteilung", sagt die Pflegewissenschaftlerin Martha Meyer von der saarländischen Hochschule für Technik und Wirtschaft. Pflege werde demnach von vielen Frauen als vermeintlich weibliche Kompetenz verstanden. Zudem arbeiten sie seltener in Vollzeitjobs, sodass ihnen die Entscheidung, zu pflegen, leichter fiele, sagt Meyer.

Männer rufen eher Hilfe

Einige Studien zeigten sogar, dass viele Männer anders pflegen als Frauen. "Männer sind pragmatischer", sagt sie. Beim Umgang mit Demenzkranken etwa waren die männlichen Pflegepersonen weniger emotional. Auch würden Männer eher einen Pflegedienst rufen als Frauen, sagt Meyer. Der Freien Ambulanten Pflege in Hamburg zufolge sind es vor allem ästhetische Fragen, die Männer vor der häuslichen Pflege zurückschrecken lassen. "Für sie ist es zum Beispiel schwieriger, die eigene Mutter zu waschen", sagt eine Sprecherin des Pflegedienstes.

Zukünftig könnte die Rolle der Pflegedienste in der häuslichen Pflege wachsen. Denn einer Studie der Uni Hamburg zufolge ist die jüngere Generation seltener bereit, einen Angehörigen zu pflegen. Das Durchschnittsalter der Pflegepersonen liegt mittlerweile bei 60 Jahren. Um der wachsenden Zahl der Pflegebedürftigen gerecht zu werden, will die Hamburger Sozialbehörde rund 500 neue Ausbildungsplätze im Pflegebereich schaffen.

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