Der letzte Geisterbeschwörer

ROCK-ROMANTIK Aufrichtiger Versuch, politischen Zorn, Melancholie und rührende Hoffnung zu verbreiten: New Model Army-Kopf Justin Sullivan kommt semi-akustisch

Vieles an Justin Sullivans Musik klingt wie eine große Geisterbeschwörung

VON NILS SCHUHMACHER

Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt, teilte Karl Kraus einst mit. Und nicht alles, was aus der Musikpresse schon vor längerem verschwunden ist, ist bereits tot – auch wenn sich viele altgediente Bands mit der fortwährenden Produktion schlaffer Platten darum bemühen, den Gegenbeweis zu erbringen. Zu ihnen gehören die bereits 1980 gegründete New Model Army und ihr Kopf, Justin Sullivan, jedenfalls nicht. Dass auch sie weiter Platten aufnehmen, die mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Goth- und Alternativrock musikalisch eher dem Zeitgeist der 80er verbunden sind – geschenkt. Dass sie vor allem in den Biographien der heutigen Thirty- bis Fortysomethings inventarisiert sind, die sie auf dem Weg durch ihre Post-Punk-Pubertät begleiteten – ebenfalls. Und schließlich: dass sie mit „51. State“ für die zentrale Kampfansage der west-europäischen Jugend an den US-amerikanischen (Kultur-)Imperialismus verantwortlich zeichneten, deren Text man heute vielleicht nicht mehr ohne Zögern unterschreiben würde – erst recht. Statt nostalgisch kann man die Sache nämlich auch romantisch sehen. Dann ist dieser aus Proletarität und Stonehenge zusammengebaute Bolide am treffsichersten als einer der ganz aufrichtigen Versuche im Rock zu bezeichnen, politischen Zorn, Melancholie und rührende Hoffnung zu verbreiten.

Vielleicht auch deshalb, aber auch aufgrund von Sullivans Gesang, klingt vieles an dieser Musik wie eine große Geisterbeschwörung. 2003 veröffentlichte er mit „Navigating by the Stars“ ein mal episches, mal geradezu ins Meditative abgleitendes, aber immer düster und athmosphärisch bleibendes Solo-Album, das sich musikalisch in etwa zwischen Mark Hollis, Leonhard Cohen und der eigenen Band platzierte. In der Folgezeit ging es dann immer wieder mal auf Semi-Akustik-Tour und, ja, es wurden vor allem viele New Model Army-Stücke gespielt. Und genau so, auf der aktuellen Tour zusammen mit Keyboarder Dean White, wird es auch diesmal.

■ Bielefeld: Do, 3. 11., 21 Uhr, Forum Bielefeld, Meller Straße 2; Bremen: Fr, 4. 11., 21 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Schildstraße 12 – 19